In seinem neuen Film erzählt Regisseur Rolf Schübel (
Gloomy Sunday) die Geschichte des ersten menschlichen Klons. Die weltberühmte Pianistin Iris Sellin ist an Multipler Sklerose erkrankt, will aber um jeden Preis ihr musikalisches Talent der Welt erhalten. Die kinderlose 30-Jährige überzeugt den ehrgeizigen Reproduktionsmediziner Dr. Fisher, sie zu klonen. Die Tochter Siri, deren Name als Palindrom den Namen der Mutter gleichsam spiegelt, wächst gesund und wohlbehütet bei der Mutter auf und erweist sich in der Tat als musikalisches Talent, das in Iris' Fußstapfen zu treten beginnt. Erst mit 13 Jahren erfährt Siri schockartig, dass sie eine Blaupause ihrer Mutter ist, und gerät in eine schwere Identitätskrise. Als junge Frau bricht der 'Tochterzwilling' aus und flüchtet in die kanadische Wildnis. Erst durch die Liebe des jungen, unkomplizierten Sägewerkbesitzers Greg findet sie zu sich selbst.
Eine Romanadaption im Kinoformat
Die filmische Adaption des gleichnamigen Romans von Charlotte Kerner, der mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, erzählt eine Geschichte, die so noch nie im Kino erzählt worden ist, was selten genug vorkommt. Mit der wohl besten Leistung ihrer jungen Karriere gelingt es Franka Potente (
Lola rennt), in der anspruchsvollen Doppelrolle als Iris/Siri zu überzeugen. Große Kinobilder, von Holly Fink vor allem in Kanada eindrucksvoll fotografiert, und weitere ausgezeichnete Schauspieler/innen wie Ulrich Thomsen (
Das Fest) als Reproduktionsmediziner, Katja Studt (
Bella Martha) als Kindermädchen und Justus von Dohnányi (
Das Experiment) als Musikmanager tun ein übriges, um
Blueprint zu einem anrührenden Drama zu machen.
Identitäts- und Generationskonflikte
Die Schlüsselfrage des Dramas lautet: Wie geht ein Mensch mit der Erkenntnis um, dass er ein Klon ist, dass er nur die Kopie eines Anderen ist und damit keine 'klassische' Identität besitzt? Dieser von Siri ausgetragene Identitätskonflikt überlagert sich im Drehbuch von Claus Cornelius Fischer teilweise mit einem 'klassischen' Emanzipationskonflikt zwischen Tochter und Mutter, aber auch mit dem Wunderkindsyndrom. Dieses wird hier noch verstärkt durch den Umstand, dass die Tochter sich vom Genie der bereits berühmten Mutter abgrenzen muss, um eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln.
Motivationen für das Klonen
Der Film verdeutlicht die menschlich nachvollziehbaren Motivationen für den bewussten künstlichen 'Schöpfungsakt' des Klonens. Denn die selbstbewusste und eitle Iris leidet sehr unter ihrer schweren Nervenkrankheit und möchte ihre Einzigartigkeit erhalten wissen. Um ihr Talent unsterblich zu machen, ist sie sogar bereit, ethische Grenzen zu überschreiten und Gesetze zu brechen. Und um eine Veröffentlichung der wissenschaftlichen "Forschungsergebnisse" zu verhindern, setzt sie bei Fisher auch ihre erotische Anziehungskraft ein. Seine Persönlichkeit ist etwas schematischer angelegt: Als Karriere-Forscher will er mit dem Klon-Experiment sein berufliches Fortkommen sichern und berühmt werden. Nachdem die Gesundheit Siris feststeht, bricht er deshalb auch nach Jahren den Geheimpakt mit Iris und trägt seine medizinische Leistung in die Öffentlichkeit, wobei er auch strafrechtliche Konsequenzen in Kauf nimmt.
"Natürliche" und "künstliche" Originale
Im Streitgespräch wirft die Tochter der Mutter später als Hauptantrieb für das Klonen blanken Narzissmus vor: "Du hast dich so sehr geliebt, dass du mit dir ein Kind haben wolltest." In diese Richtung geht auch das Rollenverständnis Potentes, die dem Problem der Doppelrolle mit einem einfachen Konzept entgegentrat: "Die Idee war, das Original künstlicher anzulegen als die Kopie, etwa durch Selbststilisierung, Narzissmus und Egoismus." Diese Differenzierung der Charakterzüge findet ein Pendant in Dekor, Lichtgebung und Atmosphäre der jeweiligen Lebenswelten: hier das warme Licht um die Holzhütte in der kanadischen Wildnis, dort die sterile Kühle im noblen Wasserschloss im Münsterland, hier das Rauschen der Pazifikbrandung, dort die Perfektion elegischer Pianokonzerte.
Es geschieht heute
Der Film spielt in der nahen Zukunft, "ist aber kein klassischer Science-Fiction-Film", sagt Schübel. Lediglich ein Kombi-Gerät aus Laptop und Videotelefon in der einsamen Holzhütte Siris setzt einen futuristischen Akzent. Dem Regisseur geht es unübersehbar um die zeitlos menschlichen Konflikte, die mit dem Klonen von Menschen verbunden wären. Indem er die Geschichte fast in der Gegenwart ansiedelt, rückt er zentrale ethische Fragestellungen ins öffentliche Bewusstsein, das durch das Klonschaf Dolly bereits für die Problematik des Vermehrung von Lebewesen durch das Kopieren von Zellen sensibilisiert sein dürfte.
Klonexperimente und ihre möglichen Folgen
Bei Iris löst Fisher das Problem, wie er ihren Wunsch nach Reproduktion erfüllen kann, indem er ihr Erbgut in eine von ihr stammende entkernte Eizelle injiziert und diese nach erfolgreicher Teilung in Iris' Gebärmutter spült. Das Tabuthema Klonen wird zwar nur ansatzweise vertieft, aber doch so konkret, dass sich daraus Fragen über die Machbarkeit und die physischen und vor allem psychischen Folgen für Erzeuger und "Erzeugtes" ergeben. Schübel bezieht zum Klonen selbst nicht explizit Position, arbeitet aber die seelischen Verletzungen von Kind und Mutter deutlich heraus und zeigt, dass Siri ungeachtet ihrer technischen Erzeugungsweise ein Mensch und kein Monstrum ist. Siri leidet nicht nur unter dem Fehlen eines biologischen Vaters, sondern unter der Vorstellung, ein unvollständiger, "wertloser" Mensch zu sein. Iris wiederum erreicht zwar ihr primäres Ziel der Fortpflanzung ihres Talents, scheitert aber letztlich an ihrem Anspruch, weil sich Siri von diesem Talent abwendet und ihre musikalische Karriere beendet, um zum eigenständigen Individuum werden zu können.
Filmdramaturgie
Relativ früh ist absehbar, dass der kontinuierliche und harte szenische Wechsel zwischen Iris und Siri – getragen von einer konventionellen Rückblendenstruktur – auf eine erneute, dramatisch zugespitzte Begegnung der räumlich getrennten Frauen zielt. Sie kulminiert in einer melodramatisch überhöhten Versöhnungsszene am Bett der todkranken Mutter. Im Vergleich zur Doppel-Protagonistin bleiben die Nebenfiguren leider eher skizzenhaft und bis auf Greg wenig lebensnah. Ein großes Lob verdient die Casting-Agentin Heta Mantscheff, die mit zwei Kinderdarstellerinnen perfekte 'Blueprints' für Siri im Alter von acht und 13 Jahren gefunden hat. Insgesamt ist
Blueprint ein intensiver Film, der trotz einiger Schwächen lange nachhallt und, indem er viele Fragen aufwirft, zur kritischen Auseinandersetzung mit der Gentechnik anregt.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.01.2004