Das Interview führte Margret Köhler.
Ihr Film behandelt verschiedene Themenkomplexe: Asyl, Identität und die Frage, was "männlich" und was "weiblich" ist. Welcher der Stränge war Ihnen am wichtigsten?
Die Verbindung der einzelnen Stränge war wichtig, Privates und Politisches nicht zu trennen, sondern zusammenzuführen. Mir ging es darum, aus einer anonymen Masse ein Einzelschicksal zu formen, mit allen Gefühlen und möglichst vielen Facetten menschlichen Lebens. Ausgangspunkt war die Idee, in welcher Situation sich diejenigen befinden, die in Deutschland Asyl suchen. Da lag es auf der Hand, zum Fremdsein die Identitätsfrage zu stellen. Was passiert mit den Menschen, die abgewiesen werden? Was passiert, wenn einem die Identität genommen wird? Da ergab sich schnell eine Überlappung.
Inwieweit haben Sie vor Ort in Asylbewerberheimen recherchiert?
Wir hatten Termine mit Sozialarbeitern und Heim-Betreibern, direkte Gespräche mit den Bewohnern. Die Ergebnisse haben die Geschichte beeinflusst, beispielsweise die Szene, in der Faribas weißrussischer Mitbewohner immer wieder das Video von zu Hause laufen lässt. Wir trafen einen Mann, der sich sein einstiges Zuhause dadurch immer wieder in Erinnerung holte. Seine in Deutschland geborenen Kinder kannten die Heimat nur aus dem Video.
Inwieweit stützen Sie sich auf Fakten im Iran?
Kürzlich wurden zwei junge Homosexuelle im Iran gehenkt. Der Umgang mit Schwulen und Lesben unterscheidet sich dort. Lesbisch gilt als nicht existent, Frauen wird sowieso keine Sexualität zugestanden, was sollen also zwei Frauen miteinander? In Gesprächen betonten lesbische Iranerinnen die Tabuisierung des Themas in ihrem Heimatland.
Ist es eigentlich realistisch, dass die Protagonistin ihr Geschlecht so gut verbergen kann?
Es war eine Gratwanderung. Im Vorfeld machten wir uns dazu sehr viele Gedanken. Jasmin Tabatabai überzeugt als Mann, obgleich ein leiser Zweifel bei einigen besteht, die ihr begegnen. Aber wer rechnet in einem schwäbischen Dorf schon mit so einem Geheimnis. Das Fremde in der Figur war ja von Vornherein angelegt.
Fühlen Sie sich selbst manchmal fremd?
Ich fühle mich grundsätzlich fremd und nicht am richtigen Platz. Das ist eine Kindheits- oder Pubertätserfahrung, die vielleicht jeder Mensch mal durchmacht. Ich dachte, ich gehöre nicht so ganz dazu mit dem italienischen Namen und dem italienischen Vater. Aber das Gefühl der Fremdheit muss sich nicht an etwas Speziellem festmachen.
Haben Sie eine Affinität zu Außenseitern, zu Menschen, die ihre Identität suchen?
Das ist doch das Spannendste, zu fragen, wer ich bin, wozu ich gehöre, was meine Wurzeln sind. Auf diese Sinnfrage kann man eigentlich alles reduzieren.
Befürchten Sie nicht, dass Ihr Film als zu problembeladen verstanden wird?
Das war die große Herausforderung. Natürlich hätte man die Themenbereiche sortieren und über jeden einzelnen eine Geschichte erzählen können. Aber so einfach ist das Leben nun mal nicht. Nur weil ich mich mit einem Problem herumschlage, heißt es doch nicht, dass ich von anderen verschont werde. Es gab immer zwei Stimmen: Reicht ein Film über Asylpolitik nicht? Warum macht ihr nicht einen Lesbenfilm? Die Verknüpfung gestaltete sich schwierig. Es geht vor allem um Grenzüberschreitung.
Besteht die Gefahr, in eine Ecke gestellt zu werden – die Sozialecke, die Frauenecke?
Das kann ich nicht verhindern, aber ich stelle mich da nicht freiwillig rein.
Fremde Haut ist ein Film, der funktioniert und emotional berührt, er richtet sich nicht an ein bestimmtes Publikum. Die Gefühle sind nachvollziehbar, auch wenn nicht jeder sie in dieser extremen Form kennt. Kino dient dazu, Gefühle zu vergrößern und zurückzuwerfen und trifft auf einen Spiegel in uns selbst.
Das Gefühl der Fremdheit ist wohl niemandem fremd. Die Frauen wirken stark, die Männer schwach.
Das sehe ich nicht so apodiktisch. Wenn die beiden Hauptfiguren weiblich sind, müssen sie stärker sein. Die Nebenfiguren sind dagegen vielleicht nicht bis ins kleinste Detail gezeichnet. Aber ich zeige keine Negativbeispiele oder Klischees.
Annes Freund Uwe entspricht am Ende nicht der typischen Männerrolle, er ist fassungslos und weint. Ich mag auch die männlichen Charaktere. Warum verzichten Sie auf ein Happy End?
Wir haben das Ende bewusst offen gelassen. Alles andere wäre verlogen oder zynisch gewesen. Fariba geht in die männliche Identität zurück, die ihr erst mal das Leben sichert.
Sie zeigen die Grenzbeamten von einer relativ humanen Seite.
Es wäre unglaubwürdig gewesen, sie als Bestien darzustellen. Auf den ersten Blick haben sie etwas Freundliches wie der Vernehmungsbeamte, der Fariba eine Zigarette anbietet. Aber in der Sache kennt er kein Pardon und erfüllt strikt seine Pflicht. Wenn man konsequent weiterdenkt, sind das Menschen, die weit reichende Entscheidungen treffen. Schon zu Beginn des Films kann der Beamte sagen, ich glaube Ihnen oder ich glaube Ihnen nicht, kann ein Argument gelten lassen oder auch nicht. Es gibt einen Ermessungsspielraum.
Wie beurteilen Sie persönlich die Asylpolitik in Deutschland nach all den Recherchen?
Dass Menschen, die alles zurücklassen, alles aufgeben, nur um in Sicherheit zu sein, dass diese Menschen, die sich in ein unbekanntes Land aufmachen und nicht wissen, was sie dort erwartet, dann brutal zurückgeschickt werden, halte ich für eine unfassbare Ungerechtigkeit. Wir leben in Sicherheit und Freiheit, die anderen konnten sich dieses Privileg nicht aussuchen. Jeden Tag werden Asylsuchende in die Unsicherheit zurückgeschickt. Ich hoffe, es gibt mal einen Aufschrei, dass man rückblickend fragt, wie diese Unmenschlichkeit passieren konnte.