Hintergrund
Die lange Mission eines "Umweltextremisten"
US-Präsident George Bush hat Schwierigkeiten mit der "Wahrheit". Den Film mit Albert Gore Jr., seinem Gegenkandidaten bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000, hat er nicht gesehen und ließ seinen Pressesprecher Tony Snow trotzig verkünden, er könne keine Zeit an "Machwerke" wie
Eine unbequeme Wahrheit verschwenden. Vermutlich hat der gegenwärtige Mieter im Weißen Haus auch das gleichnamige Buch nicht in die Hand genommen. Zum einen hat das bestimmt etwas mit den Prämissen von Film und Buch zu tun, zum anderen mit Bushs ausgeprägter Neigung, unliebsame Wahrheiten gerne zu verschweigen, wie beispielsweise beim Irakkrieg. Trotz eines respektablen Kinoerfolgs hat die große Mehrheit der Amerikaner den Film bisher nicht gesehen. Meinungsforscher fanden allerdings heraus, dass Gore die Wahl jetzt eindeutig gewinnen würde, könnten die US-Bürgerinnen und Bürger die Uhr sechs Jahre zurückstellen. Nicht wegen Gores schon damaligem Kampf für eine sauberere Umwelt, sondern wegen Bushs Schwierigkeiten mit unbequemen Wahrheiten.
"Klima"-Resistenz
Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass der Präsident gegen Gores Warnungen vor katastrophalen Folgen des "Global Warming" offensichtlich völlig resistent ist. Wer aus dem Öl-Business stammt und sich mit entsprechenden Geschäftsleuten aus diesem Bereich umgibt, kann womöglich gar nicht anders und wird Umweltverschmutzung durch hemmungslosen Verbrauch fossiler Brennstoffe als "unbewiesene Vermutung" einstufen. Mit der von Bush so verzweifelt wie weitgehend vergeblich angerufenen Wissenschaft ist das auch so eine Sache. Ex-Präsident Ronald Reagan trieb schließlich sogar einen Experten auf, der dem damaligen Präsidenten der Supermacht die "wissenschaftliche Weisheit“ nahe brachte: "Die größten Umweltverschmutzer sind unsere Bäume".
Verschleierungen
Der Film des ehemaligen US-Vizepräsidenten und laut Bush "Umwelt-Extremisten" Gore spielte seit Ende November 2005 bis Ende September 2006 allein in den Vereinigten Staaten rund 25 Millionen Dollar ein, was für einen Dokumentarfilm ohne Schusswaffen, Tote und Explosionen ein mehr als bemerkenswertes Ergebnis ist. Zumal für einen Film mit einem als "hölzern" geltenden Ex-Politiker und jeder Menge Dias und Grafiken in den "tragenden Hauptrollen". Ein paar Millionen Kinogänger/innen sind seitdem davon überzeugt, dass ihnen "von ganz oben" wieder einmal die Wahrheit vorenthalten worden war – bis dieser Al Gore daherkam, dieser Internet-Technik-Freak, der als Harvard-Student zwei Hobbies hatte: Er war damit beschäftigt, eine Studentin namens Tipper zu erobern. Und in der verbleibenden Zeit ermittelte er mit allerlei primitiven Apparaturen den zunehmenden Kohlenmonoxid-Gehalt der Luft, der nach Meinung des jungen Gore äußerst gesundheitsschädlich war und in Form von Smog auch den romantischen Blick auf den nächtlichen Sternhimmel vereitelte.
Bewusstseinswandel und Benzinpreiserhöhung
Hat Gores Film irgendetwas bewirkt? Bevor der Film in die Kinos kam, hatten rund 60 Prozent der Amerikaner bei Meinungsumfragen bekundet, dass "Global Warming" unbeweisbare Behauptungen von spintisierenden Wachstumsfeinden und in Wahrheit ein zyklisches (sprich: ein auch wieder verschwindendes) Naturphänomen seit Menschengedenken seien. Inzwischen sind 55 Prozent der US-Bürger/innen davon überzeugt, dass es die von Menschen gemachte Klimaerwärmung wirklich gibt und sie ihre Verhaltensmuster dringend ändern müssen. Die deutliche Zunahme des Umweltbewusstseins in den USA lässt sich freilich nicht Gores Film und Buch alleine zuschreiben. Schließlich geht auch amerikanisches Problemerkennen zuerst durchs Portemonnaie und ein deutlicher Minderverbrauch von Benzin in der autovernarrten Gesellschaft hat wohl hauptsächlich etwas mit den astronomisch gestiegenen Benzinpreisen zu tun.
Missionen mit unterschiedlichen Visionen
Bestimmt hat auch Al Gore nicht erwartet, dass er für seinen Feldzug zur Umwelt-Aufklärung Beifall und Zustimmung von allen Seiten bekommen würde. Es schmerzt ihn etwas, dass sich hauptsächlich schon längst Überzeugte von ihm überzeugen lassen wollen. Das politische Washington reagierte erwartungsgemäß mit "nichts Neues". Gore "verzerre" und "übertreibe", er hantiere mit "Halb- und Unwahrheiten" und wolle "beweisen, was nicht zu beweisen ist und längst widerlegt sei". Und vor allem wolle "ein Politiker von gestern" mit "Umweltschreckensgeschichten von vorgestern" wieder ins Rampenlicht und seine politische Karriere neu beleben. Dem hält Gore, der mit Kabelfernsehgeschäften viele Millionen Dollar verdient, entgehen, dass er nicht die geringsten Mandatsaspirationen habe und "einfach nur die Menschheit retten" wolle. Als tiefgläubiger Christ habe er den Bibelspruch "Eine Welt ohne Visionen ist dem Untergang geweiht" zur Leitschnur seines Lebens gemacht. Direkt nach seiner verlorenen Wahl gegen Bush im Jahr 2000 habe er sich mit seinen Diavorträgen dazu entschlossen, die Menschheit vor der drohenden Katastrophe zu warnen. Schon mehr als tausend Mal packte der Mann aus Tennessee in fünf Dutzend Ländern der Erde seinen Projektor aus. Jetzt ist daraus ein Film geworden und Gore kann sich das "und jetzt das nächste Bild bitte" sparen. Vielleicht wird wenigstens der in zwei Jahren ermittelte Nachfolger von George Bush die Zeit finden, sich mit der "unbequemen Wahrheit" zu beschäftigen. Besser noch wäre natürlich, wenn der amtierende Präsident schon vorher etwas zur Lösung des angesprochenen Problems beitragen würde. Al Gore, der "unmögliche" Filmstar, hat bestimmt noch ein Exemplar des Klimaschutzabkommens von Kyoto, das er ihm überlassen könnte.
Autor/in: Peter W. Schroeder, Washington, 29.09.2006
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany License.