Hintergrund
"I have a dream"
Die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung und ihre Protestformen
"I have a dream" – diese Worte von Martin Luther King, gesprochen am 28. August 1963 vor 250.000 Menschen in Washington, gehören zu den akustischen Leitmotiven der 1960er-Jahre wie das "Yeah, Yeah, Yeah" der Beatles und das "Ho-Ho-Ho-Chi-Minh" der Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen. In diese Parolen ist zugleich der Zeitgeist einer Epoche eingeschrieben, in der weltweit der Ruf nach einer freieren und gerechteren Welt laut wurde. Kings leidenschaftliche Beschwörung der Gleichbehandlung von Menschen aller Hautfarben wurde zu einer Art Glaubensbekenntnis, dessen Wirkung keineswegs auf die USA beschränkt blieb.
"Rassentrennung" und Diskriminierung
Die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement), deren weltweite Popularität 1964 mit dem Friedensnobelpreis für Martin Luther King ihren Höhepunkt erreichte, hat eine lange Vorgeschichte. Im Jahr 1865, nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und dem Sieg der liberalen industrialisierten Nordstaaten über den wirtschaftlich eher rückständigen Süden, wurde die Sklaverei gesetzlich verboten. Zwar erhielten die Schwarzen nun formal die vollen Bürgerrechte, doch faktisch dauerte die Diskriminierung vor allem in den Südstaaten weiterhin an. So sollten neu formulierte Gesetze das gleichberechtigte Zusammenleben von Schwarzen und Weißen regeln, tatsächlich schrieben sie jedoch die Segregation, die "Rassentrennung", erst fest und zwangen den schwarzen Amerikanern den Status zweiter Klasse ab. In einigen Bundesstaaten durften Schwarze keinen Grundbesitz erwerben, andere erlaubten noch nicht einmal die Einreise; Beschäftigung fanden Afroamerikaner häufig nur unterbezahlt in der Farmarbeit. Selbst das Wahlrecht wurde ihnen vorenthalten, denn wählen durfte nur, wer einen wahlberechtigten Großvater vorweisen konnte. In Lokalen, Parks, Theatern, aber auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, Schulen und Krankenhäusern herrschte strikte "Rassentrennung"; zudem terrorisierte der 1865 in den Südstaaten gegründete rassistische Geheimbund Ku-Klux-Clan die afroamerikanischen Mitbürger/innen.
Martin Luther King und der gewaltlose Widerstand
Bis zur tatsächlichen Gleichberechtigung war es ein langer Weg. Erst in den 1950er-Jahren begann sich die Diskriminierung von Schwarzen in den USA allmählich zu ändern. Ein Gerichtsurteil, das getrennte Schulen generell als verfassungswidrig einstufte und gezielte Boykottaktionen machten den Anfang: Am 1. Dezember 1955 wurde die Afroamerikanerin Rosa Parks in Montgomery verhaftet, weil sie sich geweigert hatte, im Bus ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast zu räumen. 381 Tage boykottierten die schwarzen Einwohner/innen Montgomerys daraufhin die öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt. Nach zwei gewonnenen Prozessen, hatten sie die Aufhebung der Segregation in Schulen und öffentlichen Verkehrsmitteln durchgesetzt. Organisiert wurde dieser friedliche Widerstand von dem damals 26-jährigen, gerade nach Montgomery gezogenen Baptistenprediger und Theologen Dr. Martin Luther King. Aus den Erfahrungen mit dem Busboykott entwickelten King und seine Mitstreiter/innen Protestformen, die Ideen des gewaltlosen Widerstands Mahatma Gandhis in die Medienwirklichkeit der 1950er-Jahre übersetzten. Mit "Freedom Rides" – Reisen in Überlandbussen bei denen weiße und schwarze Aktivisten/innen gemeinsam in öffentlichen Bussen durch Alabama fuhren - wurde via Zeitungsartikeln, Radio-, TV-Reportagen und Wochenschauen vorgeführt, dass die "Rassentrennung" im öffentlichen Nahverkehr lokal durchaus weiterbestand. Ebenso öffentlichkeitswirksame Sit-ins in Restaurants, die eigentlich Weißen vorbehalten waren, zeigten die alltägliche Diskriminierung. Die Protestaktionen waren erfolgreich: Am 2. Juli 1964 trat der Civil Rights Act in Kraft, ein Bürgerrechtsgesetz, das die politische, rechtliche und soziale Rassendiskriminierung für unrechtmäßig erklärte. Die Einhaltung dieser Gesetze wird seither vom Justizministerium überwacht, was bei den vorherigen Bürgerrechtsgesetzen nicht oder nur zögerlich geschehen war.
Fantasievolle Protestformen
Die fantasievollen Aktionen der schwarzen Bürgerrechtler/innen stießen auf weltweite Resonanz, ihre Protestformen wurden übernommen und den spezifischen Gegebenheiten entsprechend variiert. In Deutschland verlieh vor allem die Außerparlamentarische Opposition (APO) ihren Forderungen nach einer demokratischen Hochschulreform, dem Widerstand gegen den Vietnam-Krieg oder der Kritik am "Establishment" medienwirksam Gewicht. Mit Sit-ins, Go-ins, Teach-ins und Aktionen, die durch Einfallsreichtum, Witz, gezielte Regelverletzungen und eine flexiblen Auslegung von Verboten auffielen, ließen sich Polizei und Staatsmacht geschickt "vorführen". Während die Wohlstandsgesellschaft der 1960er-Jahre noch nach Termini für Hippies ("Blumenkinder"), Langhaarige ("Gammler") oder Demonstrationen ("Krawalle") suchte, verschafften die jugendlichen Gegenbewegungen mit friedlichen, manchmal spaßbetonten Aktionen ihren Anliegen eine maximale Aufmerksamkeit.
Zunehmende Gewaltbereitschaft
Die Verknüpfung von weit gehender Gewaltfreiheit mit medialer Wirkung war ein wesentliches Element, das in den 1960er-Jahren in aller Welt die Oppositionsbewegungen verband, die sich direkt oder indirekt auf die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung beriefen. Dazu kam die Bloßstellung eines als repressiv kritisierten Staatsapparates, dem man vorwarf, eine inhaltliche Auseinandersetzung zu verweigern und auf jede Aktion mit Gewalt zu reagieren. In Deutschland verhinderte die steigende Aggressionsbereitschaft auf beiden Seiten der Barrikade schließlich eine weitere Popularisierung der Studentenbewegung. Innerhalb der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung führte die Gewaltfrage zu einer zunehmenden Zersplitterung in verschiedene Flügel. Nach der Aufhebung der Rassendiskriminierung durch den Civil Rights Act, vor allem jedoch nach dem Tod von Martin Luther King am 4. April 1968 in Memphis durch ein rassistisch motiviertes Attentat, verlor das Civil Rights Movement seinen weltweit geachteten, charismatischen Anführer und seine gesellschaftspolitische Bedeutung.
Autor/in: Nicolaus Schröder, 25.04.2007
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