Hintergrund
Jugend in der brandenburgischen Provinz
Nico bricht seine Ausbildung ab, Tino weiß nicht, ob er den Hauptschulabschluss schafft und die Freundin von Oli überlegt, dem brandenburgischen Buckow den Rücken zu kehren, um in Kiel eine Arbeitsstelle anzunehmen. Der Film
Preußisch Gangstar (Irma-Kinga Stelmach, Bartosz Werner; Deutschland 2007) zeichnet in vielerlei Hinsicht ein realistisches Bild der Probleme, mit denen viele Jugendliche in der brandenburgischen Provinz zu kämpfen haben.
Demografische Krise
"Ich fühl mich so leer, ich fühl mich Brandenburg" singt der Kabarettist Rainald Grebe in seinem Brandenburglied und bringt mit diesen sarkastischen Textzeilen das zentrale Problem des Bundeslandes auf den Punkt: Die Brandenburger werden immer weniger. In einem Gutachten für den Brandenburgischen Landtag geht das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung der demografischen Krise des Landes auf den Grund und stellt fest: das Hauptproblem in Brandenburg besteht darin, dass "fast alles überall schrumpft". Was aber hat es mit diesem "Schrumpfungsprozess" auf sich? Die ländlichen Gebiete Brandenburgs leiden an einem Mangel an jungen Menschen, der durch die zunehmende Abwanderung noch verstärkt wird. Diese Entwicklung ist nicht neu. In der Nachwendezeit der frühen 1990-er Jahre gingen die Geburten in der Region erheblich zurück. Schon deshalb leben im heutigen Brandenburg sehr viel weniger Jugendliche als in früheren Generationen. Dazu kommt, dass die landschaftlich reizvolle brandenburgische Provinz mit pittoresken Orten wie Buckow zwar für Ausflügler und Kurgäste ein beliebtes Erholungsgebiet ist, für einheimische Jugendliche aber kaum Unterhaltung und berufliche Perspektiven bietet. Viele verlassen die ländlichen Regionen, um anderswo ihr Glück zu versuchen. Nur der so genannte "Speckgürtel" rund um Berlin ist für junge Menschen attraktiv. Die Gegend konnte seit Mitte der 1990-er Jahre einen stetigen Bevölkerungszuwachs verzeichnen und bereits im Jahr 2004 lebten hier fast 40 Prozent aller Brandenburger.
Verheerende Prognosen
Die Hoffnungen, den Bevölkerungsschwund in den ländlichen Regionen mit Förderung gezielter Zuwanderung in den Griff zu bekommen, sind gering. Durch mangelnde Infrastruktur und fehlende Arbeitskräfte besitzen die peripheren Gebiete Brandenburgs nur wenig Anziehungskraft für Unternehmen und Investoren. Die Städter, die es aufs Land zieht, bleiben in den ländlichen Zonen rund um die Ballungsgebiete. Und die Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen bei vielen Jugendlichen trägt nicht gerade dazu bei, die brandenburgische Provinz für Menschen aus anderen Regionen und Ländern attraktiv zu machen. Die Brandenburger werden weniger und die Folgen, die das Gutachten des Berlin-Instituts beschreibt sind zum Teil verheerend: "Schulen werden geschlossen, Dörfer entvölkern sich, Siedlungen stehen leer und verfallen ..." Setzt sich die aktuelle Entwicklung fort, wird im Jahr 2030 jeder dritte Brandenburger älter als 65 Jahre sein. Und wenn die Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen der 1960-er Jahre in Rente gehen, wird mit ihnen eine wichtige Gruppe der Steuerzahler entfallen.
Schulschließungen und Lehrstellenmangel
Die jungen Menschen, die aus Brandenburg wegziehen, fehlen der Region als Arbeitskräfte, die dazu beitragen könnten, ein Wirtschaftswachstum in Gang zu bringen. Dabei sind es nicht in erster Linie die Arbeitssuchenden, die Brandenburg verlassen. Oft gehen gerade jene, die einen guten Schul- oder Berufsabschluss haben und sich andernorts bessere Chancen ausmalen. Dies führt zu der paradoxen Situation, dass es in einigen Bereichen an Fachkräften mangelt, obwohl gleichzeitig viele Jugendliche in Brandenburg auf eine Lehr- oder Arbeitsstelle hoffen. Doch auch ein Ausbildungsplatz eröffnet oft wenig Perspektiven: Zurzeit machen 37 Prozent aller Lehrlinge in Brandenburg ihre Ausbildung in staatlich geförderten Qualifizierungs-
programmen, in denen sie keine ausbildungsbegleitende Berufserfahrung sammeln können. Ein verbessertes Bildungsangebot könnte diesem Trend entgegenwirken, aber auch hier verschärft sich die Lage: Wegen der geringen Kinderzahlen wurden zwischen 1994 und 2003 rund 149 Grundschulen geschlossen. Doch Regionen ohne Schulen sind für neuzuziehende junge Familien wenig attraktiv und ohne potenzielle Schüler/innen werden auch keine weiteren Bildungseinrichtungen eröffnet. Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass es immer weniger Schulen gibt und die Schulwege immer länger werden.
"Not am Mann"
Indem die Regisseure/innen von Preußisch Gangstar primär die Lebenssituation von drei jungen Männern thematisieren, verweisen sie zudem auf einen weiteren Aspekt, der für die Entwicklungen in Brandenburg symptomatisch ist. Es sind gerade die jungen Frauen, die aus den ländlichen Gebieten wegziehen. Zurzeit verlassen das Land jährlich rund 6.500 junge Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren. Mädchen erreichen gerade in Gegenden der Peripherie oft bessere Schulleistungen als Jungen. Durch ihren höheren Bildungsstand eröffnet ihnen die Abwanderung neue Perspektiven. Zurück bleiben vor allem wenig oder unqualifizierte Männer mit schlechten Berufsaussichten. Die Studie Not am Mann zeichnet die Ursachen und Folgen dieses Ungleichgewichts nach. In einigen Landkreisen in Brandenburg kommen schon heute weniger als 85 junge Frauen auf 100 junge Männer. Mit der Sorge um die eigene berufliche Zukunft mischt sich für viele junge Männer in der Region deshalb der Wunsch nach einer Beziehung. Das Missverhältnis in der Geschlechterverteilung führt dazu, dass immer weniger Kinder geboren werden. Frustration und das Gefühl der Perspektivlosigkeit sind vorprogrammiert.
Literatur und Links
Gutachten zum demografischen Wandel in Brandenburg, Expertise im Auftrag des Brandenburgischen Landtags, vorgelegt vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, September 2007
Not am Mann. Vom Helden der Arbeit zur neuen Unterschicht?, Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, Berlin 2007
http://www.mbjs.brandenburg.de/media/lbm1.a.1222.de/zeitreihenstudie_kurz.pdf
Jugend 2005 – Präsentation von Ergebnissen des Projekts „Jugend in Brandenburg“ des Brandenburgischen Landtags, durchgeführt vom Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam
Autor/in: Sarah Ganter, Marie-Luise Steffens, 27.09.2007
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