Hintergrund
Das Rad der Geschichte voran drehen – Frauen in der Islamischen Republik Iran
"Meine Nichte steht um 5 Uhr auf, um im Dunkeln mit ihren Freundinnen Badminton zu spielen. Um diese Uhrzeit fühlen sie sich frei und sind vor der islamischen Sittenpolizei sicher. In Teheran vergeht kein Tag, an dem junge Frauen sich nicht mit den Tugendwächtern auseinander setzen müssen, weil das Kopftuch nicht richtig sitzt, oder weil sie in einer gemischten Gruppe unterwegs sind. Dabei wollen sie doch nur so sein wie andere Jungendliche auch auf der Welt", berichtet Shahin Nawin. Die Frauenrechtlerin pflegt intensiven Kontakt zu ihren Verwandten in der iranischen Hauptstadt, seit sie selbst 1986 ins Exil nach Berlin flüchten musste.
Geschlechtersegregation und Restriktionen
An die persönlichen Freiheiten vor der Islamischen Revolution 1979 erinnert sich die heute 65-Jährige ebenso lebhaft wie an die Ausrufung der Islamischen Republik Iran durch Ayatollah Khomeini, an den gesellschaftlichen Umbruch und an die Restriktionen: Frauen durften nicht mehr ohne Erlaubnis ihres Ehemannes oder ihres Vaters reisen. Befanden sie sich in Begleitung eines nicht verwandten Mannes, konnten sie auf der Straße verhaftet werden. Infolge der Geschlechtersegregation in der Öffentlichkeit mussten Iranerinnen sportlichen Wettkämpfen von Männern fern bleiben. Frauensport war zwar weiterhin möglich - eigens dafür errichteten die Mullahs sogar Sportzentren -, jedoch nur unter Ausschluss der Männer. Ob im Freien oder in der Halle, der Kopftuchzwang war obligatorisch. Maßnahmen wie diese trugen zur Verbreitung eines von Unterdrückung geprägten iranischen Frauenbildes im Westen bei. Deshalb begrüßt Shahin Nawai einen Film wie
Football under cover, der unter dem schwarzen Schleier weltoffene und selbstbewusste Frauen zum Vorschein bringt, die mit den Spielerinnen aus Berlin Kreuzberg vieles verbindet, an erster Stelle natürlich die Leidenschaft für das Fußballspielen.
Einheitskluft iranischer Frauen
Für die promovierte Biologin Nawai ist die iranische "Frauen-Uniform“, ein schwarzer Mantel und das eng anliegende Kopftuch, die auf Geheiß des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini Anfang der 1980er-Jahre zur Einheitskluft der Iranerinnen in der Öffentlichkeit wurde, ein "Instrument zur Kontrolle" weiblicher Bewegungsfreiheit und Sexualität. Die ehemalige Professorin an der Teheraner Universität kämpfte nach der Machtübernahme der Ayatollahs im Gottesstaat gegen die Beschneidung von Frauenrechten, bis Oppositionelle wie sie verhaftet und hingerichtet wurden. Heute unterstützt sie iranische Aktivistinnen und ihre Kampagnen durch Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit in Berlin, zum Beispiel die Aktion Eine Million Unterschriften für gleiche Rechte.
Rechtliche Benachteiligung
Auch gläubige Muslimas sind immer weniger bereit, die Ungleichheit der Geschlechter zu akzeptieren. Die Islamische Republik, die auf den Umsturz der Monarchie des westlich orientierten Monarchen Mohammad Resa Schah Pahlavi folgte, hatte viele Iranerinnen bald schon mit einer frauenfeindlichen Politik enttäuscht. Der "Gottesstaat" erklärte den Islam zur Staatsreligion, worauf viele Gesetze, die Frauen unter Mohammad Resa Schah rechtliche Gleichstellung garantiert hatten, abgeschafft oder mit Verweis auf die Religion neu formuliert wurden. Es kam zu Benachteiligungen beim Recht auf Scheidung und beim Sorgerecht geschiedener Frauen, das Mindestalter für die Verheiratung von Mädchen wurde auf zehn Jahre herabgesetzt. Die Frau durfte "keine Stellung mehr bekleiden, die Urteilskraft und Entscheidungskraft erfordern“, erklärt die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur. Durch die Zunahme wirtschaftlicher Zwänge sind die Frauen heute jedoch zugleich stärker ins Berufsleben involviert.
Ausschluss aus den Machtdomänen
Frauen bilden im Iran mittlerweile 60 Prozent der Studentenschaft und besitzen ein Drittel aller Doktortitel. Sie arbeiten als Dozentinnen, Lehrerinnen, Ärztinnen und vereinzelt sogar als Parlamentsabgeordnete. Doch im öffentlichen Sektor, dem größten Arbeitgeber des Landes, wären nur sieben Prozent der Stellen von Frauen besetzt, kritisiert Shahin Nawai. Und da, wo es wirklich um politische Einflussnahme geht, herrscht Ausschluss. Frauen können zwar Theologie studieren, aber keine religiöse Gefolgschaft hinter sich versammeln. Sie dürfen kein Richtamt ausüben, was ihnen den Zugang zum Wächterrat, einer Art klerikalem Verfassungsrat, versagt. Das aus zwölf Rechtsgelehrten bestehende Gremium entscheidet unter anderem darüber, welche Kandidaten/innen zu den Parlamentswahlen zugelassen werden und welche Männer für das Präsidentenamt. Der Präsident muss ein Mann sein – so ließ es Ayatollah Khomeini in der iranischen Verfassung festschreiben.
Staatliche Restriktionen
Die rechtliche Benachteiligung bei gleichzeitiger beruflicher Emanzipation führt bei vielen Iranerinnen zu Unmut. Derzeit versucht das konservative Regime unter Staatschef Mahmud Ahmadinejad mit restriktiven Maßnahmen und Überwachung ein Klima der Einschüchterung zu schaffen. Vor allem Frauenrechtlerinnen werden zunehmend drangsaliert und häufig verhaftet. Parvin Ardalan, die Initiatorin der Aktion Eine Million Unterschriften für gleiche Rechte und diesjährige Olof-Palme-Preisträgerin, konnte ihre Auszeichnung nicht persönlich in Stockholm entgegen nehmen, da ihr die iranische Regierung die Ausreise verweigerte. Im Iran wurden mehrere unabhängige Medien verboten, beispielsweise mit dem fadenscheinigen Grund, Frauen aus dem Ausland ohne Kopftuch abgebildet zu haben. Auch Zanan, das wichtigste Sprachrohr für Frauenfragen und muslimische Frauenrechtlerinnen, sieht sich mit einem Erscheinungsstopp konfrontiert. Frauen fanden in Zanan einen Raum für ausführliche Rechtsberatung, für vorsichtige Diskussionen über Reformen und sogar für Forderungen nach der Neuauslegung islamischer Gesetze. So kritisierte etwa die Rechtsexpertin Mehrangiz Kar, dass im Erbrecht der Koran immer zu Gunsten des Mannes interpretiert werde. Solche mutigen Beiträge konnten Reaktionen des Klerus provozieren und Ungerechtigkeiten aufgreifen, die, so Katajun Amirpur, "aufgrund von patriarchalischen Vorstellungen der Gesetzgeber entstanden sind."
Couragierte iranische Frauenbewegung
Da das gegenwärtige Regime keine kritischen Stimmen duldet, sieht es derzeit nicht danach aus, als könne sich der sehnliche Wunsch der Frauen nach Gleichstellung bald erfüllen. Dennoch – sie sind hartnäckig und die Stärke ihrer Bewegung ist ein Vorbild in der islamischen Welt. Die iranische Frauenbewegung besitzt viele klugen Köpfe: Zahra Mostafavi ist Direktorin der Gesellschaft für Frauen der Islamischen Republik. Die Tochter Ayatollah Khomeinis engagiert sich insbesondere für gleiche Ausbildungschancen. Fa’eze Hashemi, die Tochter des ehemaligen Staatspräsidenten Ayatollah Akbar Hashemi Rafsanjani, ist Initiatorin der islamischen Frauen-Olympiade. Sie wirbt begeistert im ganzen Land für den iranischen Frauensport als wichtigen Schritt zur weiblichen Emanzipation. Welche Pläne die konservativen Islamisten verfolgen – aus der Parlamentswahl im März 2008 gingen sie erneut als stärkste Kraft hervor – das Erstarken der Emanzipationsbewegung können sie kaum aufhalten. Denn auch die islamisch argumentierenden Frauen, deren Hoffnungen durch die frauenfeindliche Politik enttäuscht wurde, wollen mit aller Kraft das Rad der Geschichte voran drehen.
Autor/in: Susanne Gupta, Kulturjournalistin mit den Schwerpunkten Film und Gender, 28.03.2008
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