Das filmische Werk des australischen Regisseurs Baz Luhrmann ist überschaubar: Seit seinem Debütfilm
Strictly Ballroom (Australien 1992) hat er vier weitere Spielfilme realisiert. 1996 gelang dem damals 34-Jährigen mit seiner stilisierten Klassiker-Adaption
William Shakespeares Romeo + Julia (William Shakespeare's Romeo + Juliet, USA) der große Durchbruch. Fünf Jahre später eröffnete er mit dem später Oscar®-prämierten Musical
Moulin Rouge! (USA, Australien 2001) erstmals die Filmfestspiele von Cannes, um sich danach mit
Australia (Australien 2008) dem historischen Drama zuzuwenden. In diesem Jahr ist Luhrmann nun mit
Der große Gatsby (The Great Gatsby, Australien, USA 2013), einer Neuverfilmung von F. Scott Fitzgeralds gleichnamiger berühmten Erzählung, zur Festivaleröffnung nach Cannes zurückgekehrt – und stand dort im legendären Carlton Hotel Rede und Antwort.
Mr. Luhrmann, der Roman Der große Gatsby wurde schon mehrfach verfilmt. Wann kam Ihnen der Gedanke, dass es Zeit sei für eine neue Adaption?
Nach
Moulin Rouge! nahm ich 2002 oder 2003 die Transsibirische Eisenbahn von Peking nach Moskau. Ich wollte den Kopf frei bekommen und neue Energie tanken. Im Zug griff ich bei einer guten Flasche Rotwein zu meinem Gatsby-Hörbuch. Und siehe da: Die Wirkung auf mich 40-Jährigen war eine ganz andere als damals, als ich 17 war. Denn ich erkannte sofort, dass das Buch letztlich auch von uns erzählt, von heute und worauf wir zusteuern.
Also ist die Geschichte auch für ein heutiges Publikum noch relevant?
Es gibt so viele Parallelen zwischen damals und heute. Zu Beginn der 20er-Jahre wurde ein terroristischer Anschlag auf die Wall Street verübt, von anarchistischen Kommunisten. Direkt danach stiegen die Börsenkurse an. Außerdem wurde damals das Verkaufen von Anleihen erfunden, heute ist das System des "pay later" fest etabliert. "Moralische Elastizität" nenne ich das immer, was sowohl die damalige als auch die heutige Zeit prägt. Es geht ums Geld, ums Reichwerden. Nick Carraway gibt sogar das Schreiben auf, um Anleihen zu verkaufen. Nicht dass ich etwas gegen Geld oder ausschweifende Partys hätte. Aber wenn das Geld nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern der einzige Zweck ist, dann läuft etwas schief. Nick erkennt das erst am Ende, und zwar als einziger.
Der Vorwurf, Ihrer opulenten Verfilmung ginge es womöglich mehr um optische Schauwerte, ist also falsch?
Natürlich geht es auch um das Verführerische, die Unterhaltung, Glanz und Glitter. Aber letztlich lässt sich das alles auf ein paar moralische Grundgedanken herunterbrechen. Für mich ist die Kernaussage des Buches, dass man sich dagegen sträuben und gegen diesen Strom der blinden Geldgier anschwimmen muss. Dass es jenseits des Geldes noch andere Dinge geben sollte, nach denen man strebt. Der Musiker Jay-Z brachte das ganz gut auf den Punkt, als er den Film zum ersten Mal sah: "Es geht nicht darum, wie Gatsby zu seinem Geld gekommen ist. Sondern ob er ein guter Mensch ist oder nicht. Hat er eine innere Moral, ein höheres Ziel?" Die meisten in seinem Umfeld haben das nicht. Die zerstören und ruinieren Menschen und alles andere um sich herum und ziehen sich anschließend einfach wieder in ihre weitläufigen, vollkommen hohlen Elfenbeintürme zurück.
Als Sie die Idee für eine Neuverfilmung hatten, sah die Welt noch anders aus. Heute ist die Krise allgegenwärtig. Kommt Ihr Film vielleicht zu spät?
Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, ich hätte den Einbruch der Weltwirtschaft prognostiziert. Aber da war zumindest dieses unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas in der Luft liegt. All das Geld, all der Reichtum – da musste einfach etwas passieren. Und 2008 wusste ich, dass es nun wirklich höchste Zeit war, diesen Film zu drehen. Zeitgemäß ist er trotzdem. Denn die Blase ist zwar geschrumpft, aber endgültig geplatzt ist sie noch nicht, wenn ich mir die Geldmacherei der Banken und Börsen so anschaue.
Sie haben sich einige Freiheiten gegenüber der Vorlage herausgenommen …
Alle Entscheidungen, die ich für den Film getroffen habe, hatten stets nur das Ziel, Fitzgerald gerecht zu werden und den Kern des Buches zum Vorschein zu bringen. Selbst dass Carraway zu Beginn im Sanatorium sitzt, war seine Idee. Wir haben sie in seinen Aufzeichnungen im Nachlass gefunden.
Und die Musik? Warum haben Sie den Rapper Jay-Z und andere moderne Künstler engagiert statt historisch korrekte Songs zu verwenden?
Das steckt im Grunde alles schon in Fitzgeralds Buch. Eine zentrale Rolle in seinem Buch spielt der Jazz – und das war damals die Straßenmusik der Schwarzen. Heute ist natürlich Jazz eher klassische Musik und Hochkultur. Deswegen musste ich mich fragen: wie kriege ich es hin, dass die Musik in meinem Buch genauso subversiv, gefährlich und zeitgemäß ist wie in der Vorlage. Da kam ich dann auf die Idee, meine 20er-Jahre-Geschichte mit HipHop zu unterfüttern und mich mit dem anderen Jay, nämlich Jay-Z, zusammenzutun.
Welches Bild haben Sie selbst von Jay Gatsby?
Für mich ist er sozusagen das Aushängeschild einer Art Ultra-Romantik. Und irgendwie der amerikanische Hamlet, der zielsicher und unumgänglich auf die Tragödie zusteuert. Seine Ideale sind zu groß, zu unerreichbar. Er hatte diese Vision seines eigenen Lebens, zu der nicht einmal seine eigenen Eltern passten. Aber als ihm das Leben, der Alltag in die Quere kommt, ist er machtlos und kann sich nicht anpassen. Und genau darin liegt der Ursprung des Wahnsinns. Noch ergiebiger als der Hamlet-Vergleich ist deswegen vielleicht der mit Joseph Conrads Erzählung
Herz der Finsternis, die Fitzgerald sehr liebte und deren Struktur sich auch in
Der große Gatsby erkennen lässt. Dort steuert der Protagonist Kurtz genauso unaufhaltsam auf die Katastrophe zu – und trotzdem ändert er sich, genau wie Gatsby, nicht. Das sind ikonografische, unerschütterliche Figuren. Der einzige, der im Gatsby eine Wandlung durchmacht, ist Carraway.