Ein kleiner winterlicher Ort, Lawford in New Hamphshire. Die kalte verschneite Landschaft und die wenigen Häuser sind zeitlos. Dort lebt Wade Whitehouse seit seiner Kindheit. Als einziger Polizist am Ort sichert er jeden Morgen den Weg der Schulkinder und räumt den Schnee von den Straßen. Sein einziges Engagement gilt seiner neunjährigen Tochter Jill, die ihn nach der Scheidung von seiner Frau nur gelegentlich besuchen kommt. Jill verhält sich ihrem Vater gegenüber zurückhaltend, denn statt sich wirklich um sie zu kümmern, trinkt er meistens mit seinen Freunden. Als eines Tages ein einflussreicher Gewerkschaftsboß in Begleitung von Wades Freund Jack bei einem Jagdausflug tödlich verunglückt, sieht Wade eine Chance, sein demoliertes Selbstwertgefühl aufzufrischen. Er wittert in dem Unglücksfall ein Verbrechen, hinter dem der Bürgermeister und Jack als ausführendes Organ stehen. Ihm wird jedoch fristlos gekündigt, als er diese tätlich angreift. Nicht genug der Schicksalsschläge: Kurz darauf findet er seine Mutter tot im Bett. Er lässt seine Freundin Maggie bei dem verwirrten, trunksüchtigen und äußerst aggressiven Vater zurück, damit sie für ihn sorgt. Nach einigen Tagen besucht Wade mit Jill den Vater und Maggie. Es kommt zu einer heftigen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Wade aus Verzweiflung und Hass zuerst Maggie und Jill schlägt, später dann seinen Vater. Dieser hatte beim Anblick seines hilflos um sich schlagenden Sohnes triumphiert: Endlich wisse er, wie man mit Frauen umzugehen habe. Wades Schläge sind für den Vater tödlich. Als er den Toten in Armen hält, ist er ihm in seinem Schmerz näher als er es bisher je sein konnte. Nachdem er alles verloren hat, verschwindet er spurlos.
Der Kunstgriff des Regisseurs besteht darin, die ganze Geschichte aus den Erinnerungen von Wades jüngerem Bruder Rolfe zu erzählen, der erst zur Beerdigung der Mutter anreist. Es stellt sich heraus, dass die Kindheit der Brüder von der Gewalttätigkeit des Vaters, die sich vor allem gegen den älteren Sohn richtete, und der Schweigsamkeit der Mutter überschattet war. Indem Rolfe das Schweigen bricht, macht er die Geschichte ihrer Kindheit öffentlich und nähert sich immer weiter der Perspektive seines Bruders an. Rolfe hatte sich aus den Konflikten zwischen Wade und dem Vater lange herausgehalten und den Ort seiner Kindheit frühzeitig verlassen. Er muss nun erkennen, dass er genauso in die Familiengeschichte eingebunden ist und zieht daraus die notwendigen Konsequenzen.
Affliction heißt der Film im Original und bedeutet Leiden, Betrübnis, Pein. Er wirft eine männliche Biografie auf, die von Kindheit an von der Erfahrung eines gewalttätigen Vaters und einer hilflosen Mutter geprägt war. Diese wagte es nicht, ihre Kinder zu verteidigen, und so gab es auch für Wade keinen Zufluchtsort. Er hat seinen Zorn gegen die Übermacht des Vaters und die damit verbundene eigene Schwäche in sich eingesogen, lebt ständig wie auf dem Pulverfass und ist nach außen hin bemüht, ein ganz normales bürgerliches Leben zu führen. Wade sucht nach einem Weg, der unerträglichen Spannung ein Vehikel zu geben. Seinem bohrenden Zahnschmerz kann er mit einer Zange Abhilfe verschaffen, doch nicht seinen Erinnerungen und seelischen Verletzungen. Die Gemeinschaft kümmert sich nicht um seine Gefühlslage, erst als er zum Störfaktor wird, weist man ihn zurecht.
Mit präziser Schärfe zeichnet Paul Schrader den weiteren Entwicklungsweg des Alkoholikers Wade. Sein Handlungsbedarf findet in Wut gegen alle und sich selbst Ausdruck. Sein Zorn gipfelt in den tödlichen Schüssen auf seinen Freund Jack. Er erlegt ihn, so wie dieser vorher Wild zur Strecke brachte. Überhaupt ist die ganze Gemeinschaft von Riten der Männlichkeit geprägt: Jagdausflüge und Spritztouren werden von ihr nicht nur gebilligt, in ihnen misst sich sogar Männlichkeit. Ein Mann, der trinkt, gilt erst dann als verloren, wenn er unangenehm auffällt, wenn er sein Leben nicht mehr in den Griff bekommt. Gewalt in der Familie wird solange toleriert, bis sie das soziale Gefüge unübersehbar stört. Wades Erinnerungsbilder zeigen die Gewaltausbrüche des Vaters immer im privaten Rahmen. Im Kern der Familie sind ihnen Kinder und Frauen schutzlos ausgeliefert. Der Platz, an dem das Leid seine Wurzeln hat, das Elternhaus der Whitehouse, steht wie ein Mahnmal im neuen Wintersportgebiet von Lawford. Hier ist die Zeit stehen geblieben, so wie das alte Unrecht in allen von Alkohol und männlicher Gewalt geprägten Familien immer noch weitergegeben wird.
Autor/in: Sonja Toepfer, 01.02.1998