Roma in Rumänien
'Zigeuner' ist nicht nur ein Schimpfwort oder ein romantisches Klischee, sondern auch ein Begriff aus der NS-Rassenideologie. Darum nennen sich die solcherart etikettierten Menschen selbst ganz bewusst Roma oder (in Deutschland) Roma und Sinti. In keinem anderen europäischen Land leben heute mehr Roma als in Rumänien. Die Ethnogruppe ist mit einem Anteil von über zehn Prozent (zwischen 2,5 und 3 Mio.) an der Gesamtbevölkerung paradoxerweise ebenso die größte wie die am meisten bedrohte Minderheit des Landes. Der merkwürdige Widerspruch zwischen der zahlenmäßigen Größe und der politischen Ohnmacht erklärt sich aus der langen Diskriminierung und der Vielzahl an unterschiedlichen Gruppierungen unter dem Dach der Roma, die nicht mit einer Stimme sprechen, geschweige denn in einer einheitlichen Romani-Sprache. Soziokulturell spannt sich der Bogen zwischen völliger Assimilation und der entschiedenen Verteidigung eigener Identitäten. Beruflich reicht das Spektrum vom unqualifizierten Arbeiter bis hin zum Universitätsprofessor. Es gibt beinahe alles, was unter jedem ethnischen Dach auch zu entdecken ist. Was die Lage der meisten Roma aber nach wie vor heraushebt, ist ein Leben weit unter der Armutsgrenze.
Die Jahre nach der Wende 1989, mit der große Hoffnungen auf politische und ökonomische Verbesserungen verknüpft wurden, entwickelten sich darum besonders tragisch. Waren die Roma als Rumänen in der Planwirtschaft – ob sie wollten oder nicht – noch eher integriert, sind sie in der Phase der Privatisierung in der Regel die ersten, die ihren Arbeitsplatz verlieren. In der völlig darniederliegenden Landwirtschaft gibt es für Roma so gut wie keine Arbeit mehr. Seit 1990 sehen sich die Roma einer diskriminierenden, von lokalen Pogromen begleiteten Politik ausgesetzt, und auch die Zukunft verheißt nichts Gutes. Die Arbeitslosigkeit wird im Zuge der weiteren Privatisierung bzw. Schließung unrentabler Betriebe unweigerlich steigen. Die Sündenböcke für die sozialen Spannungen der nächsten Jahre in Rumänien scheinen heute schon festzustehen.
Autor/in: Pit Fiedler, 12.12.2006