Ein lustiger Auftakt: eine Bühne, auf der sich ein paar Stand-Up-Comedians mehr oder weniger erfolgreich bemühen. Doch so heiter wie es zunächst scheint, ist es nicht. Schnell zeigt ein Blick hinter die Kulissen, dass auch hier ein harter Verdrängungskampf herrscht. Man befindet sich mitten in einem Talentwettbewerb. Wer gewinnt, der bekommt eine eigene TV-Comedy-Show.
Freundschaft trotz Konkurrenz
Paul und Alex haben Glück. Die beiden gehören zu den Kandidaten der Endrunde. Auf dem schmalen Grat zwischen Komödie und Tragik erzählt Brigitte Müllers Erstlingswerk
Der Himmel kann warten nach diesem Auftakt die differenzierte Geschichte der beiden langjährigen Freunde. Die plötzliche Konkurrenzsituation spielt dabei nur eine Nebenrolle. Der Zuschauer erfährt bald, dass diese Freundschaft stark genug ist, um sich durch alltägliche Konflikte nicht irritieren zu lassen. Doch eine weitaus härtere Probe steht den beiden bevor: Die längst überwunden geglaubte Krebserkrankung von Alex kehrt zurück. Als Schuljunge verlor er dadurch schon ein Bein. Diesmal kann auch eine weitere Operation nicht helfen: Alex und mit ihm die Zuschauer wissen, dass er sterben wird. Paul soll dass nicht erfahren, denn Alex möchte den labileren Freund damit nicht belasten.
Krankheit als Bewährungsprobe
Die größte Leistung des Films liegt in dem Auftritt von Frank Giering, der den Alex spielt. Eindrucksvoll und glaubwürdig vermittelt er die Facetten dieser eigentlichen Hauptfigur, die Stärke, die es ihm auch in schweren Momenten möglich macht, an Andere zu denken, oder auf der Bühne lustig zu sein, die Hoffnungen auf ein bisschen Glück – und die Brüchigkeit von alledem angesichts des unmittelbar bevorstehenden Todes. Gerade in beklemmenden Szenen, etwa als ihm der Arzt die schreckliche Diagnose mitteilt, gelingt es Giering, Emotion zu zeigen und Anteilnahme hervorzurufen, ohne dass es in falsche Gefühle abgleitet. Gerade die Krankheit Krebs diente im Kino – zuletzt etwa in
One True Thing mit Meryl Streep – allzu oft dazu, unausgesprochene Konflikte zwischen Figuren zum Ausdruck zu bringen, und als denkbar harte Therapie für emotionale Defizite einzelner Figuren zu wirken. So ganz ohne diese Dramaturgie kommt auch Brigitte Müller nicht aus. Die Krankheit wird zum Katalysator, der die beiden Freunde zwingt, Farbe zu bekennen und miteinander ins Reine zu kommen.
Ebenbürtige Charaktere
Wenn Männerfreundschaften im Kino zum Thema gemacht werden, geschieht das selten ganz ohne Sentimentalität. Zumindest in zweierlei Hinsicht geht Brigitte Müller aber ungewöhnliche Wege: Ihre beiden Charaktere sind – trotz der stärkeren Konzentration auf Paul – nahezu gleichwertig gezeichnet. Keiner von beiden ist dem anderem grundsätzlich überlegen. Wie zuletzt in Spike Lees
Summer of Sam oder Vanessa Joops
Vergiss Amerika begegnet man zwei ganz unterschiedlichen Figuren, die einander ergänzen, jeweils alternative Möglichkeiten und Wunschvorstellungen verkörpern: Paul ist auf der Bühne unsicher und bewundert die Begabung seines Freundes, hat aber große Erfolge bei Frauen, selbst wenn diese Beziehungen oft nur kompensatorischen Charakter haben. Alex ist selbstbewusst und voller Tatendrang, sehnt sich aber nach einer "großen Liebe". Beide Freunde helfen einander, sind bereit, füreinander "durchs Feuer zu gehen". Man spürt, dass die Gemeinsamkeit der beiden, ihr Humor und die Begeisterung für Comedy auch ein kompensatorisches Moment in sich trägt, mit dem sie sich über die Tristesse des Alltags hinwegtrösten. Entgegen dem oft gesehenen Klischee tauchen Frauen diesmal nicht als Störenfriede im Männerbund auf. Im Gegenteil: In einem ihrer besten Auftritte erlebt man Catherine Flemming. Sie spielt die Barfrau, mit der Paul zum ersten Mal begreift, dass es einen Unterschied gibt zwischen Liebe und schnellem Sex.
Wert(-haltungen)
Vieles in dieser Männerbeziehung reißt Brigitte Müller nur an. So etwa das Thema der Freundschaft zu einem behinderten Menschen: Die Beinprothese von Alex bildet zwar ein dankbares Objekt für sarkastische Scherze, darüber hinaus spielt seine Behinderung keine Rolle. Im Vordergrund steht ein Reifeprozess: Nicht ohne moralisierende Untertöne, aber mit viel filmischem Schwung, guter Musik und Bildern voller Leidenschaft vermittelt die Regisseurin ihren Hauptfiguren – und damit den Zuschauern – dass innere Werte wichtiger sind als äußerer Erfolg, zwischenmenschliche Gefühle mehr zählen als bestandener Leistungsdruck. Paul zumindest ist sein ersehnter Auftritt mit der "Hühnernummer" am Ende ganz egal. Die wichtigste Einsicht, die der Film vermitteln möchte, ist aber wohl die, das eine echte Freundschaft wichtiger sein kann als die große Liebe, die manchmal schnell vergeht. Darüber lässt sich gewiss trefflich streiten. Aber es ist schon beachtlich, dass diese These im Film überhaupt einmal formuliert wird, dient doch traditionelle (Liebes-)Zweisamkeit gerade im deutschen Kino sonst als universelles Heilmittel.
Schritte ins Erwachsenenalter
Der Himmel kann warten fällt in das Genre der "coming-of-age-movies", in denen die jungen Protagonisten – zum Teil durch schmerzliche Erfahrungen – erst lernen müssen, was wirklich zählt im Leben. Die Leichtigkeit der Jugend wird abgelöst durch den Ernst des Erwachsenen-Lebens. So ist Paul, der Überlebende, die wirkliche Identifikationsfigur des Publikums. Komödie und Krebs – das gewagte Unterfangen, tiefe Gefühle und Humor zu vereinen, glückt der Regisseurin zum größten Teil. Manchmal etwas dick aufgetragen, in einzelnen Szenen zu knapp abgehandelt, erzählt dieser ungewöhnliche Film eine insgesamt stimmige Geschichte.
Autor/in: Rüdiger Suchsland, 01.12.2000