Das Interview führte Margret Köhler.
Was war der Anstoß für Forget Baghdad?
Mich interessiert der Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft. Die von mir ausgewählten Figuren sind vaterlandslose Gesellen wie ich, mit einer Herkunft, die sie nicht mehr ablegen können. Ich fand es aufschlussreich zu sehen, wie schwierig es auch in der zweiten Generation ist, sich von dem kulturellen Hintergrund wegzubewegen, sozusagen als Analogie zu meinem eigenen Stand der Dinge. Der Umweg über irakisch-jüdische Kommunisten ist auch eine Reise in mein Inneres. Die erste Idee zu dem Projekt existiert schon seit über zehn Jahren.
Sie sind im Irak geboren, in der Schweiz aufgewachsen, wie wurden Sie mit der Problematik vertraut?
Ich bin mit zwei Bildern von Juden aufgewachsen, die sich widersprachen. Erst als Erwachsener konnte ich das politisch durchschauen. In meiner Kindheit existierten Juden in einem ganz anderen Kontext als in der Schweiz. Ich wuchs in einem sehr liberalen Elternhaus auf und lernte, dass Juden ein Teil der arabischen Welt sind. Die Ressentiments der arabischen Gesellschaft gegenüber den Juden erschlossen sich mir erst viel später. Im Irak war es normal, Jude zu sein. In der Schweiz lernte ich diesen Sonderstatus der Juden als ein Volk kennen. Jude sein war mit Israel verbunden.
Ihre Protagonisten sind Fremde im "gelobten Land", in gewisser Hinsicht aber auch integriert – weil sie einen Teil ihrer kulturellen Identität aufgaben?
Ich maße mir nicht an, eine Gesamtanalyse der israelischen Gesellschaft machen zu können. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie eine Gesellschaft mit diesen irakischen Juden umgeht und wie diese sich mit der Gesellschaft auseinander setzen. Einem Großteil der arabischen Juden wurde Unrecht angetan und was tun diese? Sie sind in rechtsradikalen Parteien organisiert und viel religiöser geworden, auch als Antwort auf die säkulare Gesellschaft. Ich halte es für paradox, dass sich die Ausgegrenzten quasi als die 'besseren' Israelis ansehen.
Warum gehen Sie nicht auf den israelisch-palästinensischen Konflikt ein?
Es gibt dazu schon jede Menge Filme. Ich wollte einen relativ unbekannten Aspekt des Nahostkonflikts zeigen, der implizit auch das Verhältnis zwischen Israelis und Arabern beleuchtet, ein sehr komplexes Thema, das sich einfachen Pro- oder Kontra-Positionen entzieht.
Könnten die irakischen Juden nicht als Bindeglied zwischen Israel und der arabischen Welt fungieren?
Dazu müsste man den politischen Willen entwickeln. Ein Beispiel: Im Buch der jüdischen Geschichte – Lehrstoff an allen israelischen Schulen – befassen sich von 400 Seiten nur neun mit den orientalischen Juden. Es ist eine Geschichte der Zurückweisung. Die Politik Israels ist darauf ausgerichtet, ein westlicher Staat zu sein und nicht ein Staat im Nahen Osten – eine Grundsatzposition. Wenn sich Israel als Staat des Nahen Ostens deklarieren würde – mit all den westlichen Vorteilen wie Demokratie, Rechte des Individuums – und diese Rechte auf die Palästinenser ausweiten würde, wäre das ein großartiger Staat. Solange der jetzige Zustand anhält, wird Israel in der arabischen Welt weiter als Fremdkörper wahrgenommen, stehen auch die moderaten Kräfte auf verlorenem Posten.
Wurde Ihr Film in Israel oder im arabischen Raum gezeigt?
In Israel habe ich ihn auf einem Dokumentarfilmseminar der Filmschaffenden vorgeführt, da flogen die Fetzen. Er wird auf jeden Fall im Programm des "Jerusalem Filmfestival" laufen. Aus dem arabischen Raum bekam ich von den offiziellen Festivals noch keine Rückmeldung.