Das Interview führte Caroline M. Buck.
Regisseur Michael Winterbottom
Ihre Darsteller sind Flüchtlinge, Sie haben mit der Kamera eine echte Reise dokumentiert und das Drehbuch den Situationen vor Ort angepasst. Wie viel ist Fakt, wie viel Fiktion?
In This World ist ein Spielfilm, auch wenn er viel Dokumentarisches enthält. Wir wollten beides: dem Zuschauer Zahlen und Fakten an die Hand geben und ihn emotional in die Reise der beiden Jungen einbinden. Deshalb haben wir Aufnahmen aus dem Flüchtlingslager Shamshatoo im Film gelassen, wo man sehen kann, wie die Kinder dort direkt auf die Kamera reagieren. Diese Blicke in die Kamera erinnern daran, dass nicht nur der Westen mit Sorge auf die Flüchtlinge blickt, sondern diese auch auf uns. Und dass der Film zwar nur die Geschichte von zwei Personen erzählt, aber viele Tausende dasselbe durchmachen.
Was hat Sie bewogen, den Film gerade jetzt zu drehen?
Die steigende Ablehnung gegenüber Emigranten in Großbritannien. Vor den letzten Wahlen haben sich die britischen Parteien mit fremdenfeindlichen Parolen geradezu überboten. Ausnahmslos jede Partei kündigte an, die Asylgesetzgebung verschärfen zu wollen und nur noch "echte" Asylsuchende zu dulden. Der Begriff "Migrant" wurde zum Schimpfwort, da war von Lagern für die Ankömmlinge die Rede, wenn man sie nicht gleich abwies. Mir stellte sich die umgekehrte Frage, ob man nicht endlich die diskriminierende Unterscheidung zwischen politisch Verfolgten und den so genannten bloßen Wirtschaftsflüchtlingen aufheben sollte.
Sie reden einer grundsätzlichen Öffnung der Grenzen das Wort. Wie viele Migranten verträgt eine westliche Demokratie, ohne ihre Werte zu ändern?
Wenn der Überlebenskampf in London so heftig wäre wie in diesem Lager in Pakistan, würden wohl auch bei uns die Wertvorstellungen leiden. Natürlich klingt die Forderung naiv, alle Grenzen zu öffnen. Andererseits hindern wir auch unsere Fernsehprogramme nicht an Grenzüberschreitungen – wohin wir auch fuhren, amerikanische Programme gab es überall. Wir hatten Handy-Empfang und das Internet mit seinen Einkaufsmöglichkeiten war auch verfügbar. Wir halten westliche Konzerne nicht davon ab, Waren in Pakistan herzustellen und den Arbeitern einen Bruchteil dessen zu zahlen, was sie im Westen bekommen würden. Für den, der Geld mitbringt, sind die Freiheiten grenzenlos, aber für die ohne Mittel sieht es ganz anders aus. Hier streiten wir über gewerkschaftliche Mindestlöhne, aber was dort passiert, ist uns egal. Die technologische Entwicklung hat es leicht gemacht, in diese Länder zu reisen. Aber wenn wir dort Urlaub machen oder Geld investieren wollen, müssen wir auch den umgekehrten Reiseweg öffnen.
Wie schwierig waren die Drehbedingungen?
Keines der betroffenen Länder wollte etwas mit afghanischen Flüchtlingen zu tun haben. Jamal ist im Lager geboren und Enayatullah lebt seit zehn Jahren dort. Trotzdem machte Pakistan Schwierigkeiten, ihnen ein Rückkehrvisum zu gewähren und die britischen Behörden wollten nichts davon hören, afghanischen Flüchtlingen ein Einreisevisum zu erteilen. Keiner der Menschen in diesen Lagern hat Papiere, deshalb riet unser pakistanischer Reiseberater Imran, die beiden Jungen nach Kabul zu schicken, wo sie reguläre Pässe bekamen. Für Jamal war es das erste Mal, dass er einen Fuß auf afghanischen Boden setzte. Zur Wiedereinreise nach Pakistan, zurück zu ihren Familien, brauchten sie dann falsche pakistanische Pässe. Denn Flüchtling ist in dieser seltsamen Welt, wer sich nicht ausweisen kann, wer aber eigene Papiere besitzt, der verliert automatisch den Flüchtlingsstatus.
Wie schwer ist es Ihnen gefallen, die beiden am Ende zurück ins Lager zu schicken?
Wir haben ihnen von Anfang an klar gemacht, dass wir ihnen einen Job boten, kein Visum. Wir wollten vermeiden, dass aus dem Casting eine Lotterie wurde, mit dem Visum als großem Los. Enayatullah hat Familie und das Geld genutzt, um sich selbstständig zu machen. Mit Jamal standen die Dinge anders, er war jünger und sprach besser Englisch. Für ihn war die Trennung von der Familie schlimmer, aber nach Drehschluss war er es, der sich auf eigene Faust auf den Weg zurück nach London machte. Hätte er in Peshawar oder in Afghanistan haben können, was er bei uns an Chancen erlebt hatte, wäre er sicher zu Hause geblieben. In seiner gewohnten Kultur und Umgebung zu leben, hat schließlich Vorteile. Leute haben verschiedenste Gründe, ihren Wohnort zu verlassen. Aber für alles, was man dabei gewinnt, verliert man auch eine Menge. Wer das aufgibt, wird es nicht leichtfertig tun. Wenn jemand aber solche Risiken auf sich nimmt, sollte man seine Entscheidung respektieren.
Sind Sie optimistisch?
In Europa haben wir uns daran gewöhnt, dass ein Grieche in London arbeiten kann, soziale Absicherung inbegriffen. Noch vor 25 Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Ich kann mich noch an die Befürchtungen erinnern, dass mit der Öffnung der Grenzen all diese armen spanischen Bauern in Deutschland einfallen und als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft die Löhne nach unten treiben würden. Natürlich hat es das im Einzelfall gegeben, aber die meisten von ihnen wollten gar nicht unbedingt in Deutschland leben.