Hintergrund
Sterbehilfe in Deutschland
Szene aus dem Film "Das Meer in mir"
Das eigene Sterben und der Tod von Angehörigen werden in unserer Gesellschaft vielfach verdrängt und sind zugleich mit großen Ängsten belastet: mit der Angst, unerträgliche Schmerzen ertragen zu müssen, den Angehörigen und der Gesellschaft zur Last zu fallen, im Sterben allein gelassen, ausgeliefert und der Würde beraubt zu werden oder auch gegen den eigenen Willen unnötig lange leiden zu müssen. Nicht zuletzt spielt auch die Angst mit, wenn das Leben durch mangelnde medizinische und pflegerische Hilfe oder gar durch Tötung verkürzt wird.
Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung
Die großen Fortschritte der Medizin haben in den letzten Jahren zu einer öffentlichen Debatte über das Sterben in unserer Gesellschaft und die Sterbehilfe (Euthanasie) geführt. Die moderne Medizin hat den Sterbeprozess manipulierbar gemacht, er kann verlängert oder verkürzt werden, erleichtert oder erschwert, menschlicher oder unmenschlicher gestaltet werden. Was ist zu tun, wenn ein schwerkranker Mensch so sehr leidet, dass er sterben möchte? Darf ihm ein Arzt die tödliche Dosis eines Beruhigungsmittels spritzen oder auf seinen Wunsch Gift verabreichen? Die Befürworter/innen einer solchen aktiven Sterbehilfe in Deutschland verweisen auf die Nachbarländer Holland, Belgien und die Schweiz, in denen aktive Sterbehilfe für Patienten/innen unter bestimmten Voraussetzungen geleistet werden darf. Es gehe nicht um Fremdbestimmung, sondern gerade um eine umfassende Selbstbestimmung der Patienten/innen. In den Augen der Befürwortenden ist diese Form der Euthanasie ein Fortschritt hin zur Autonomie des Individuums – bis hinein in die letzte Lebensphase.
Euthanasie
Ursprünglich beschrieb der Begriff Euthanasie (griechisch eu-thanatos, "schöner Tod") das Recht eines Menschen auf einen selbstgewählten Tod, wenn er sein Leben aufgrund äußerer Einflüsse als nicht mehr lebenswert empfand. Unter dem Einfluss des christlichen Glaubens, in dem der Selbstmord als Sünde gilt, wandelte sich die Bedeutung des Wortes/Konzepts und bezeichnete nun die vom Arzt geleistete Sterbehilfe für unheilbar kranke Menschen. In Deutschland ist der Begriff "Euthanasie" untrennbar mit den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur verbunden. Behinderte, Kranke und Alte wurden von den Nationalsozialisten als "lebensunwert" gebrandmarkt und systematisch umgebracht.
Aktive Sterbehilfe
Aus rechtlicher Sicht wird zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe unterschieden. Wer aktiv an der Tötung eines/r Sterbewilligen mitwirkt, macht sich in Deutschland strafbar. Bittet eine kranke Person ausdrücklich um Sterbehilfe, so wird derjenige, der diesem Wunsch nachkommt, wegen Tötung auf Verlangen bestraft. Fehlt es an einem ausdrücklichen und ernsthaften Verlangen des/r Getöteten, kann es sich strafrechtlich um Totschlag handeln. Der Bundesgerichtshof hat das Verbot der aktiven Sterbehilfe prägnant formuliert: "Sterbehilfe darf auch bei aussichtsloser Prognose nicht durch gezieltes Töten geleistet werden." (BGHSt 37, 376, 1991) Hat sich eine kranke Person umgebracht, die beispielsweise wegen einer psychischen Erkrankung den Entschluss zum Freitod nicht aus eigener Verantwortung fassen konnte, kann schon das bloße Geschehenlassen des Suizids strafbar sein. Der behandelnde Arzt oder nahe Angehörige können sich der Tötung durch Unterlassen strafbar machen, andere Unbeteiligte der unterlassenen Hilfeleistung.
Passive Sterbehilfe
Unter der straflosen, so genannten passiven Sterbehilfe versteht man den Verzicht oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen wie Beatmung oder künstliche Ernährung. Die passive Sterbehilfe setzt voraus, dass das Grundleiden einer kranken Person nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar ist, einen tödlichen Verlauf nehmen und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes ist die passive Sterbehilfe zulässig, "um dem Sterben (...) seinen natürlichen, der Würde des Menschen gemäßen Verlauf zu lassen" (BGHSt. 37, 376/379). Der Arzt ist nicht verpflichtet, mit Hilfe moderner lntensivmedizin verlöschendes Leben um jeden Preis und unter Umständen qualvoll zu verlängern. Die intensivmedizinischen Maßnahmen des Arztes sind im Gegenteil sogar rechtswidrig, wenn sie dem wirklichen oder anzunehmenden Patientenwillen widersprechen. In Ausnahmefällen kann bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten der Abbruch einer ärztlichen Behandlung auch dann zulässig sein, wenn das Sterben noch nicht eingesetzt hat, aber von der mutmaßlichen Einwilligung des Kranken auszugehen ist. Bei der Ermittlung des Patientenwillens sind frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen ebenso zu berücksichtigen wie dessen religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, sein Alter oder seine Aussagen über das Erleiden von Schmerzen.
Indirekte Sterbehilfe
Von indirekter Sterbehilfe spricht man bei medizinischen Maßnahmen (Schmerztherapie, Beruhigungs- oder angstlösende Mittel), die das Sterben erleichtern sollen, ab einer bestimmten Dosis aber mit einer Lebensverkürzung verbunden sein können. Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich anerkannt, dass ein Arzt einer kranken Person in der letzten Phase ihres Lebens schmerzstillende Medikamente selbst dann verabreichen darf, wenn dies als unbeabsichtigte Nebenwirkung das Sterben beschleunigt.
Lebenswerte Sterbebegleitung
Die Gegner der aktiven Sterbehilfe verweisen darauf, dass Menschen vor allem deshalb nach aktiver Sterbehilfe verlangen, weil sie große Angst vor unerträglichen Schmerzen haben und fürchten, ihre verbleibende Lebenszeit allein und abgeschoben unter schlechten äußeren Bedingungen verbringen zu müssen. Der ausdrückliche Wunsch nach aktiver Sterbehilfe beinhalte in sehr vielen Fällen nicht die Aussage: "Ich will nicht mehr leben!", sondern vielmehr die Aussage: "Ich will so nicht mehr leben!". Die deutsche Hospizbewegung (lat. Gast/Gastgeber) sieht deshalb ihre Aufgabe darin, alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit schwer kranke und sterbende Menschen sich auch in ihren letzten Lebensmonaten so wohl und geborgen fühlen, wie es unter den gegebenen Umständen nur möglich ist. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet die Hospizbewegung eng mit der Palliativmedizin zusammen, deren Ziel die Verbesserung der Lebensqualität des nicht heilbaren, schwer kranken Patienten ist. Die Palliativmedizin betrachtet das Sterben als einen normalen Prozess, der durch Schmerzlinderung und Linderung anderer belastender Symptome zum Wohle des Patienten gestaltet werden kann. Dabei werden auch die psychischen und spirituellen Bedürfnisse der Sterbenden beachtet.
Autor/in: Hanns-Jörg Sippel (punctum, Bonn), 21.09.2006