Für viele Menschen ist Asyl in einem fremden Land die einzige Rettung vor Verfolgung. Aber was geschieht, wenn man die eigene Identität auch in der neuen Heimat nicht offen ausleben kann? Jenseits aller Klischees zeichnet Regisseurin Angelina Maccarone in
Fremde Haut das sensible Porträt einer lesbischen Iranerin, die verzweifelt darum kämpft, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Flucht in den Westen
Manch schlichte Filmbilder verweisen auf ganze Welten. In
Fremde Haut geschieht das gleich in der ersten Filmminute. Kaum ist die iranische Staatsgrenze überflogen, entspannt sich die junge Iranerin bei einer Zigarette in der Flugzeugtoilette. Zuvor hat Fariba das obligatorisch getragene schwarze Kopftuch um den Rauchmelder gewickelt – und scheint sich mit dieser Geste selbstbewusst eines Symbols patriarchalischer Unterdrückung entledigt zu haben. Der Dolmetscherin aus Teheran droht in ihrer Heimat die Todesstrafe – weil sie Lesbierin ist. Ihre Geliebte Shirin, so wird man später erfahren, konnte unbehelligt im Iran bleiben, weil sie der "krankhaften" Leidenschaft abschwor. Die eigene sexuelle Identität zu verleugnen, war für Fariba jedoch keine Alternative. In Deutschland, dessen Sprache und Literatur sie bereits kennt, will sie einen neuen Anfang wagen, ohne Angst vor Gefängnis, Folter und Ermordung.
Asyl in einem fremden Land
Doch der Freiheitstraum platzt bereits am Frankfurter Flughafen. Als Fariba in Anwesenheit eines iranischen Übersetzers dem Beamten des Bundesgrenzschutzes ihr Asylgesuch begründen soll, gibt sie "politische Gründe" vor. Zu tief sitzt die Scham, vor Männern die eigene Sexualität preiszugeben. Außerdem, so weiß sie, ist sexuelle Verfolgung kein zwingender Asylgrund in Deutschland. Ob sie denn das Todesurteil als beglaubigte Kopie vorlegen könne? Fassungslos verneint Fariba die Routinefrage des Beamten. Subtil reflektiert vor allem die erste Filmhälfte den sperrigen Prozess des Asylverfahrens, dessen Unmenschlichkeit sich hinter rigider Bürokratisierung verbirgt. Berührende, atmosphärisch dichte Szenen im Übergangslager für Asylbewerber/innen erzählen von der Sehnsucht dieser Menschen nach einem besseren Leben und der alles überschattenden Angst vor drohender Abschiebung. Auch Fariba will man zurück in den Iran schicken. Aber sie will bleiben – um jeden Preis. Als ein verzweifelter Landsmann Selbstmord begeht, nimmt Fariba entschlossen dessen Identität an. Als Regimekritiker Siamak erhält sie eine zeitlich befristete Duldung.
Gender Switch/Gender Crossing
Mit Garçonschnitt, Brille und abgeschnürtem Busen landet die Großstädterin in einem Asylantenheim in der schwäbischen Provinz. In ruhigen Einstellungen und mit stockenden Dialogen entwickelt Maccarone langsam die Konfliktstruktur ihres Filmes weiter. Ohne Beschönigungen, aber auch ohne Polarisierungen geben kurze Szenen dem Zusammenprall der Kulturen Raum. Mutig, die Angst vor Entdeckung immer im Nacken, ertastet Fariba die Facetten einer fremden Welt, begegnet Ausländerfeindlichkeit und Neid, aber auch überraschender Offenheit und Hilfsbereitschaft. Doch das reine Überleben ist ihr zu wenig. Um als Frau dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen, muss sie sich für viel Geld einen gefälschten Pass kaufen. Deswegen arbeitet der jungenhafte Fremde illegal in einer Sauerkrautfabrik, argwöhnisch beäugt von waschechten Macho-Kollegen. Anders jedoch als in
Viktor und Viktoria oder
Yentl setzt der Topos "Frau verkleidet als Mann" in
Fremde Haut nicht auf humorige Effekte. Mit kraftvoller Intensität verkörpert Jasmin Tabatabai diese willensstarke Frau in Männerhosen. Eingezwängt in eine fremde Haut, verleihen ihre Blicke und Gesten der inneren Bedrängnis Ausdruck und bezeugen beredt, was Worte nicht verraten dürfen: Aus dem äußeren Exil ist auch ein inneres geworden.
Sexuelle Ambiguität
Ausgerechnet als Mann jedoch gewinnt Fariba in dem kleinen Familienbetrieb die Zuneigung einer anderen Frau. Zaghaft kommen sich die beiden näher. Ahnt Anne, dass Siamak eine Frau ist? Liebt sie "ihn" gerade deswegen? Dass der Film solche Mutmaßungen nicht thematisiert, wirkt irritierend, ist doch die sexuelle Ambiguität von Siamak augenscheinlich. Trotzdem bahnt sich eine leidenschaftliche und zugleich verständnisvolle Beziehung an. Doch dann soll Siamak plötzlich abgeschoben werden. Verzweifelt "outet" sich Fariba vor der verständnisvollen Anne. Das Glück scheint zum Greifen nah, als sich die Ereignisse überschlagen.
Hoffnungsschimmer
Jenseits von Klischees und Kitsch lebt die berührende lesbische Liebesgeschichte von kleinen, intensiven Momenten. Frei von politischen Dogmen, platten Schematisierungen und eindeutiger Genreverortung reflektiert Maccarone komplexe Themen: Asylrecht, regressive Gesetzgebungen, Culture Clash, lesbische Liebe. Geschickt verkehrt sich so manches Vorurteil. Vor allem Fariba, die weltoffene Dolmetscherin aus Teheran, hat so gar nichts gemeinsam mit dem westlichen Bild einer unterdrückten iranischen Kopftuchträgerin. Schade nur, dass sich die visuelle Gestaltung weniger am Leinwand- als am Fernsehformat orientiert: Es wimmelt von bildschirmkompatiblen, halbnahen Einstellungen. Schade auch, dass der vielschichtige Film leichte dramaturgische Hänger hat. Spätestens nach der Hälfte ist der zentrale Konflikt vollständig aufgefächert, wirklich neue Handlungsimpulse ergeben sich nicht. Trotz der etwas holprigen Stoffentwicklung gewinnt
Fremde Haut jedoch eine ganz eigene vehemente Dynamik und lässt Hoffnung auf ein selbst bestimmtes Leben – aufgeben wird Fariba sich nicht.
Autor/in: Ula Brunner, 01.10.2005