Hintergrund
Das Beispiel Sankofa oder: Afrika auf der Leinwand
Sankofa
Der 1993 in Ghana und auf Jamaika gedrehte Film
Sankofa des äthiopischen Regisseurs Haile Gerima wurde bei der afroamerikanischen Bevölkerung der USA zum Kultfilm, denn er ist eines der wenigen Werke, die sich mit der historischen Versklavung und Verschleppung vieler Millionen von Afrikanern in die Länder Nord-, Mittel- und Südamerikas aus rein afrikanischer Perspektive auseinander setzen. Bis dato wurde das heikle Thema nur von weißen Filmemachern/innen aufgegriffen, die mehr oder weniger bewusst einen "weißen" Standpunkt einnahmen, selbst wenn sie wie Steven Spielberg in
Amistad für die Rechte der Schwarzen eintreten. Wie sehr diese ungewohnte Perspektive auf Ressentiments stößt, erfuhr Gerima am eigenen Leib, denn kein einziger US-Verleih wollte seinen Film übernehmen mit der Begründung, er sei zu afrozentristisch, zu "schwarz", und habe deshalb kein Marktpotenzial.
Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln
Als Haile Gerima 1967 in die USA auswanderte, war er schockiert, als er dort vielen Schwarzen begegnete, die kaum etwas über ihre Herkunft und ihre Vorfahren wussten. Auch er selbst hatte im Schulunterricht seiner Heimat Äthiopien nie etwas vom Atlantischen Dreieckshandel gehört, der die Sklaven/innen nach Amerika verschleppte und an dem Europa gleich dreifach verdiente. So recherchierte er über 20 Jahre in zahlreichen Ländern und fand dabei auch heraus, dass sich viele Schwarze nicht einfach ergeben in ihr Schicksal fügten, wie es die Geschichtsschreibung mitunter behauptet. Im Gegenteil gab es viele kleine und große Aufstände und sogar unabhängige Regionen in der so genannten Neuen Welt, die von aufständischen Maroons (entlaufenen Sklaven/innen) angeführt wurden. Zurzeit arbeitet Gerima an einer zehnteiligen Fernsehserie über diese kaum ins öffentliche Bewusstsein gelangten historischen Ereignisse. Bereits der Titel seines Spielfilms
Sankofa ist Programm und Handlungsanweisung, denn Sankofa ist ein mythischer Vogel und ein Wort aus der Sprache der Akanvölker, die im Süden Ghanas leben. Es bedeutet "in die Vergangenheit zurückkehren, sie dem Vergessen entreißen und sich der Zukunft zuwenden". Nur im Wissen über die Vergangenheit und eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln der Afrikaner und Afroamerikaner lässt sich aus der Geschichte lernen und eine positive Zukunft gestalten.
Afrika auf der Leinwand
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat in Kooperation mit dem Evangelischen Zentrum für Entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF) das Projekt "Afrika auf der Leinwand" gestartet, das anhand von ausgewählten Filmen Klischeevorstellungen über den Kontinent hinterfragen möchte und die große thematische, kulturelle, sprachliche und ästhetische Vielfalt des afrikanischen Kinos widerspiegelt. Die Filme, zu denen teilweise auch Filmhefte der bpb herausgegeben wurden, beleuchten die unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen in den betreffenden Ländern und lassen zudem die historische Entwicklung des jungen und hierzulande noch immer unterschätzten afrikanischen Filmschaffens erkennen. Wie in
Sankofa bereits vom Thema her unverzichtbar, setzen sich auch andere der ausgewählten Filme unmittelbar mit dem Verhältnis zwischen den weißen (ehemaligen) Kolonialmächten und der schwarzen Bevölkerung auseinander.
Lumumba
Schwarz-weiße Denkmuster
Besonders erschreckend stellt sich das Überlegenheitsdenken der weißen Kolonialmacht Belgien in
Lumumba von Raoul Peck dar. Dieser kontrastiert die Visionen eines vereinten Afrika von Patrice Emery Lumumba, dem ersten Premierminister von Belgisch-Kongo, nach der Unabhängigkeitserklärung seines Landes im Jahr 1960 mit der menschenverachtenden Politik der Kolonialherren, die ihre willkürliche Vorherrschaft und ihre Machtposition in allen Verwaltungsbereichen des Landes nur widerwillig abgaben. Unter Beteiligung der belgischen Regierung wurde Lumumba nach wenigen Monaten Regierungszeit von seinen Widersachern im afrikanischen Lager ermordet. – Vergleichsweise sympathisch wirken die beiden französischen Wissenschaftler, ein Professor und seine Studentin, im Roadmovie
TGV-Express von Moussa Touré aus Senegal, einer ehemaligen französischen Kolonie, die freilich auch etwas besser auf ihre Unabhängigkeit vorbereitet worden ist. Die beiden Forschenden steigen mitten in der Wildnis in einen Bus von Dakar nach Conakry in Guinea zu, dessen Fahrgäste die senegalesische Gesellschaft wie in einem Mikrokosmos spiegeln. Die Franzosen haben völlig überkommene Vorstellungen von Land und Leuten aus vergangenen Jahrhunderten, die der Regisseur ironisch gebrochen beispielsweise an einer uralten Landkarte demonstriert, die sie mit sich führen. Am Ende werden sie zum Spielball national-afrikanischer Interessen, so wie einst die Kolonialmächte die Afrikaner für ihre Interessen einspannten. – Bereits 25 Jahre zuvor hatte Tourés Landsmann Djibril Diop Mambéty im avantgardistischen Film
Touki Bouki den Traum vieler Schwarzafrikaner von Frankreich als dem gelobten Land ad absurdum geführt und gezeigt, wie sich der Protagonist am Ende des Films gegen eine Ausreise und zum Verbleib in seiner Heimat entscheidet.
Tradition und Moderne
Ein wichtiges Thema für schwarzafrikanische Filmemacher/innen ist die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und Tradition. Das muss nicht so weit gehen wie bei Souleymane Cissé, der
Yeelen – Das Licht in der Zeit vor der Kolonialisierung in Mali spielen lässt und anhand eines dramatischen Vater-Sohn-Konflikts erzählt, wie ein alter Zauberer seine Macht nur zum persönlichen Vorteil missbraucht, statt seine Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Der Sohn rebelliert gegen diese überlieferten Traditionen. – Vorurteile, Machtmissbrauch und Aberglaube bis hin zur Hexenverfolgung spielen auch in
Yaaba von Idrissa Ouedraogo,
Mossane von Safi Faye und
Buud Yam von Gaston Kaboré eine große Rolle. Ihnen ist der differenzierte Blick auf alte Traditionen und kulturelle Bräuche gemeinsam, die zwar zur kulturellen Identität beitragen, unhinterfragt aber zu Ausgrenzung und Tod führen. – Wiederum in
TGV-Express von Moussa Touré sind es vor allem die Frauen, die mit überkommenen Traditionen brechen, sich emanzipieren und den Schritt in ein modernes Afrika wagen, ohne dabei ihre kulturelle Identität preiszugeben.
www.africome.de www.ezef.de www.bpb.de/filmhefte
Autor/in: Holger Twele, 21.09.2006