Interview
"Wir sollten versuchen, diesen Teil der Welt zu verstehen"
Ein Gespräch mit Marc Forster über seinen Film Drachenläufer
Drachenläufer basiert auf einem Bestseller, der in Afghanistan verortet ist, einem Land, dessen Kultur uns in vielem unbekannt ist. Brachte dies besondere Probleme mit sich?
Es war sehr schwierig einen Roman zu verfilmen, der sich acht Millionen Mal verkauft hat und außerdem in einer fremden Kultur spielt. Da trägt man eine gewisse Verantwortung, diese Kultur mit Respekt zu behandeln und sie so authentisch wie möglich zu präsentieren. Mir war wichtig, dass die Moslems im Film nicht als Terroristen und Selbstmordattentäter generalisiert werden. Wir sollten versuchen, diesen Teil der Welt zu verstehen und mit anderen Augen zu sehen.
Wie haben Sie sich der filmischen Umsetzung genähert?
Zunächst habe ich mich lange mit dem Autor Khaled Hosseini und seinem Roman auseinandergesetzt. Danach habe ich mich mit vielen Leuten getroffen, die in Kabul in den siebziger Jahren gelebt haben und dann von dort geflohen sind. Ich bin nach Afghanistan gereist, um Land und Leuten näher zu kommen und die Kultur zu verstehen. Wenn ich an Afghanistan dachte, dachte ich an Krieg, an die Taliban, aber nie an die idyllische Zeit, die davor herrschte. Afghanistan vor der sowjetischen Invasion – das war für mich ein weißes Blatt.
Sowohl Hassan als auch später sein Sohn werden im Film missbraucht. Warum ist der Tatbestand der Vergewaltigung so bedeutsam?
Es sind zunächst Schlüsselszenen der Wiedergutmachungsgeschichte. Die Vergewaltigungsszene ist aber zugleich eine Metapher dafür, was mit Afghanistan geschehen ist, nachdem es von den Sowjets verlassen wurde. Es wird somit auch die Vergewaltigung dieses Landes dargestellt, bei der der Westen dann einfach zugeschaut hat, ohne etwas zu unternehmen. Das war auch für Khaled Hosseini die zugrundeliegende Idee seines Romans. Außerdem stellen Vergewaltigungen von Männern in jeder Gesellschaft eine Realität dar, sind jedoch zugleich ein Tabu. Tabus können jedoch nur aufgelöst werden, wenn man darüber spricht und ihnen bewusst entgegen wirkt.
Wegen der Vergewaltigungsszenen wurde der US-amerikanische Filmstart um sechs Wochen verschoben!
Die Eltern der beteiligten Kinderdarsteller waren besorgt, dass den Jungen in Afghanistan nach dem Filmstart etwas zustoßen könne. Deswegen haben wir aus Sicherheitsgründen dafür gesorgt, dass die Kinder vorläufig ausreisen konnten; zur Zeit halten sie sich in Dubai auf. In Amerika haben wir Drachenläufer bereits vielen Exilafghanen gezeigt, die sehr angetan waren und den Film als "Love Letter" an ihr Land empfanden.
Der Film wurde von einem großen amerikanischen Studio produziert, allerdings ohne Staraufgebot, zum Teil mit Laiendarstellern und langen untertitelten Passagen in Dari, einer der Landessprachen Afghanistans. Warum?
Khaled Hosseini sagte mir, dass das Studio den Film ursprünglich mit Stars besetzen und ihn komplett in Englisch drehen wollte. Englisch sprechende Kinder in Kabul, die dann später im Emigrationsteil gebrochenes Englisch reden? – das macht keinen Sinn. Ohne Stars war es wiederum möglich, sich der Geschichte "neutraler", zu nähern. Allerdings ist die Arbeit mit Laienschauspielern viel fordernder als mit Profis. Auch was die Dreharbeiten angeht, war dies mein anstrengendster Film. Wir drehten in Westchina, an der Grenze zu Afghanistan. Es gab viele Spannungen zwischen den dort lebenden Bevölkerungsgruppen. Wir wohnten in Zelten auf 4000 Meter Höhe und mussten dazu noch zwischen mehreren Sprachen, wenn auch mit Hilfe von Dolmetschern, hin- und herlavieren.
In ihren Filmen gibt es häufig "gebrochene Helden", wie Amir in Drachenläufer. Was interessiert Sie an diesem Typus?
Eigentlich finde ich ja Frauen menschlich interessanter als Männer. Spannend ist allerdings, wie ein Mann sich emotional ausdrückt. Männer werden häufig so erzogen, dass sie ihre Gefühle nicht offen zeigen. Diese Gefühle werden dann verinnerlicht. Deswegen finde ich es interessant, wie ein Mann dann schließlich mit seinen Emotionen umgeht und sie in Beziehungen mit Frauen oder Freunden ausdrückt. Oder die Besonderheit von Vater-Sohn Beziehungen – dabei denke ich auch an meinen eigenen Vater: Wie bei Amir, haben Väter immer gewisse Erwartungen an ihre Söhne, die diese oft nicht erfüllen.
Ihre Filme haben ganz unterschiedliche Themen und Genres. Woher kommt diese Freude an der Abwechslung?
Für mich ist jeder Film eine neue Herausforderung. Ich kann jedes Mal viel dabei lernen – auch bei finanziellen Misserfolgen wie Stay. Der neue James Bond, in dem ich Regie führen werde, ist mein erster großer kommerzieller Film. Aber ich werde sicher danach auch wieder kleinere Filme drehen wie Monster’s Ball. Ich habe mich schon sehr früh im Leben, so mit 17, 18 Jahren entschieden, nur das zu machen, wo meine Passion mich hinführt. Deswegen drehe ich nur Filme, die mir wirklich wichtig sind.
Autor/in: Dr. Martin Ganguly, Lehrer, Autor, Dozent und Projektleiter im (medien-)pädagogischen Bereich, 03.01.2008
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