Hintergrund
Tanzen, Videotanz und Boxen - Kreativer Input für die Jugend- und Schulpädagogik
Wie wichtig Sport für die körperliche Gesundheit ist, wussten bereits die alten Griechen: In den Gymnasien der Antike wurden die jungen Männer geistig, staatsbürgerlich und körperlich erzogen. Doch erst seit der Aufklärung setzten sich in Deutschland Pädagogen/innen für die Idee von Bewegung und Sport als zentralem Erziehungselement ein. Der Grundgedanke war und ist es bis heute, auf diese Weise nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Identitätsbildung, die emotionale Entwicklung sowie die Sozial- und Werteerziehung Heranwachsender zu fördern. War es im 19. Jahrhundert der Gymnastikunterricht, der als ordentliches Unterrichtsfach erstmals Einzug in den schulischen Lehrplan hielt, so machen im 21. Jahrhundert die Herausforderungen der Zeit neue Ansätze in der Pädagogik aber auch der Jugendhilfe erforderlich.
Tanz in den Schulen
Ein Aufschwung von Tanz in den Schulen – von kreativem Kindertanz über HipHop, Jazz- und zeitgenössischem Tanz – ging mit dem Ausbau der Ganztagsschulen einher. Zu einem Boom kam es verstärkt 2003 mit dem Modellprojekt Tanz in Schulen vom nrw landesbüro tanz, das auch eine Plattform für Kommunikation, Vernetzung und Weiterbildung schuf. Die Landesregierung ermöglichte Tanzprojekte, die nicht an Lehrpläne und Richtlinien gebunden sind. Heute gibt es in allen Bundesländern Initiativen von Choreografen/innen, Pädagogen/innen und Eltern, die 2007 im Bundesverband Tanz in Schulen e.V. ihr Anliegen bündelten.
Tanz als ganzheitliche Unterstützung von Kindern und Jugendlichen
In Berlin gründete die aus Neapel stammende Tänzerin und Choreografin Livia Patrizi 2005 TanzZeit – Zeit für Tanz in Schulen und daran angegliedert die Jugendcompany. Letztgenannte ermöglicht jungen Menschen unabhängig von ihrer ethnischen und sozialen Herkunft im Bezirk Kreuzberg-Friedrichhain, ihre aus der Tanzerfahrung an den Schulen gewonnenen Sozialkompetenzen weiterzuentwickeln. Felix Schulz tanzt schon zwei Jahre begeistert mit: "Ich bin behütet aufgewachsen – und habe hier Menschen kennen gelernt, die ganz anders aufgewachsen sind. Junge Erwachsene, die in Messerstechereien gekommen sind, Drogenprobleme hatten, keine Ausbildung. Die waren aggressiv, mussten sich profilieren, das war hart für die Proben, doch dann lernt man, wo es herkommt und versteht es besser.“ Die Tänzer/innen der Jugendcompany sind 15 bis 24 Jahre alt und noch Laien, die vielleicht später den Sprung in die Professionalität wagen. Vorerst können sie von hochkarätigen Choreografen/innen viel lernen. "Derzeit proben wir ein neues Stück zum Thema Aufstand, in dem es darum geht zu fragen, was es heute für einen jungen Menschen bedeutet, dieses Gefühl zu haben", sagt Livia Patrizi. Ziel von TanzZeit sei es, zeitgenössischen Tanz früh als Kunstform zu vermitteln und dadurch die Entwicklung von Kindern ganzheitlich zu unterstützen – physisch, geistig und emotional. Mittlerweile nahmen 88 Grund- und Oberschulen und 6.000 Kinder und Jugendliche an den Projekten teil.
Positive Beeinflussung durch Tanz
An Brennpunktschulen wird TanzZeit begrüßt, weil die Motivation und Lernatmosphäre konstruktiv beeinflusst wird. Der Tanz hilft, aus Trägheit oder "Verkapselung“ aufgrund familiärer Probleme herauszukommen und die Kinder lernen, ihre Gefühle auszudrücken. Wissenschaftler/innen bestätigen eine positive Einwirkung auf das Konzentrationsvermögen, eine Stärkung des Selbstwertgefühls, Verfeinerung des Körperbewusstseins und Förderung des sozialen Verhaltens. Schüchternen Kindern, die nicht so gut sprachlich kommunizieren, erleichtert er Zugang ins Klassenkollektiv, sagt die Projektleiterin Claudia Feest. "Die Kinder werden als Individuen angesprochen, mit dem, was sie können. Das wird eingefangen, herausgelockt und gefördert. Umso mehr sie sich in die gemeinschaftliche Arbeit einbringen, umso weniger werden Blockaden, Ängste und Depressionen auftauchen.
Videotanz: ein neuer Blick auf neue Bewegungen
Eine besondere Kombination bietet der Videotanz im Programm TanzMedia – getanzte Medienkompetenz! in Ludwigshafen an der Lernwerkstatt medien+bildung.com. Zielgruppe sind Schüler/innen mit erhöhtem Betreuungsbedarf aus Haupt- und Berufsbildenden Schulen, die in mehrtägigen Workshops von einer Tanz- und Medienpädagogin angeleitet werden: "Die Jugendlichen werden dahin gebracht, sich eigene Bewegungen auszudenken. Egal ob man tanzen kann, oder sportlich ist – es entstehen ganz neue Bewegungsmuster und ein neuer Blick darauf“, sagt die Medienpädagogin Katja Batzler. Die intermediale Kunstform, die von Künstlern/innen in den 1960er-Jahren erfunden wurde, wird auch zur Persönlichkeitsstärkung eingesetzt. Gedreht werden keine Musikclips, es geht um die Interaktion zwischen Tänzer/innen, Kamera und ungewohnten Blickwinkeln. Manchmal hängt die Kamera an der Decke, und die Jugendlichen müssen auf diese gekippte Perspektive in besonderem Maße reagieren, in dem sie sich etwa flach am Boden entlang bewegen. Neben dem kreativen Tanz aus freier Bewegung und Improvisation werden die Grundlagen der Filmtechnik vermittelt und dabei Rollentausch geübt: Mädchen hinter die Kamera, Jungs tanzend davor. So lernen sie sich auch in der Wahrnehmung des anderen Geschlechts kennen und setzen sich damit auseinander.
Boxen als Selbsterfahrung
Im harten Alltag straffälliger, gewaltbereiter Jugendlicher ist die
Work and Box Company in Taufkirchen bei München tätig, auf den auch der Film
Friedensschlag – Das Jahr der Entscheidung (Gerardo José Milsztein, Deutschland 2009) Bezug nimmt. Bislang einzigartig in Deutschland, setzt das Programm der gemeinnützigen Organisation auf Boxen als Methode der Resozialisierung
Friedensschlag - Das Jahr der Entscheidung (Foto: Piffl Medien GmbH)
und könnte damit die Jugendhilfe revolutionieren. Für die jungen Männer, die hierher kommen, ist die
Work and Box Company oftmals letzte Chance auf eine bessere Zukunft. Das Boxen, sagt der Familientherapeut Werner Makella, sei der erste Schritt, um in Kontakt mit den Jugendlichen zu kommen: "Wenn ich Gewalt Regeln zuordne, dann kann ich das persönliche Angegriffensein etwas herausnehmen. Das Boxen ist auch eine Möglichkeit eine Krise hervorzurufen. Sie versuchen anzugreifen, werden gekontert und getroffen. Ich sage, sie müssen es besser machen – und in wenigen Minuten entsteht eine Krise. In dieser Situation zeigt sich der Mensch in Krisenlösungsmustern. Damit können wir arbeiten." Über das Boxen, die Körperarbeit und den Kontakt mit dem Gegner, lernen die aggressiven jungen Männer, Frustration zu ertragen und eine Beziehung zu sich selbst aufzubauen. Neu an dem Konzept, das Makella mit dem Unternehmer Rupert Voß entwickelte, ist die Verbindung von Sport mit einem handlungsorientierten Ansatz und Elternarbeit. Über 80 Prozent der Jugendlichen nehmen am Ende der einjährigen Maßnahme eine Lehrstelle auf und finden damit zurück ins normale Leben. Es bleibt zu hoffen, dass das Modell Nachahmung findet.
Autor/in: Susanne Gupta, Publizistin mit Schwerpunkt Kultur und Film, 24.03.2010
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