Die Zeichen der Zeit - Das Alter in den Medien
Die Kamera lauert dem Mann auf, der sich ihrer Optik nicht zeigen will. Sie verfolgt und bedrängt den Mann, bis er erschöpft in einem Sessel einschläft. Nun kann sie um ihn herum fahren und ihm das Gesicht rauben: Es ist ein Gesicht voller Falten und Runzeln, die Haut hängt schlaff von den Knochen. Der Mann wollte sein Alter vor dem Objektiv verbergen, sich ihm nicht aussetzen, weil es die Zeichen der Zeit in seinen Zügen objektiv registrieren und zurückwerfen würde. Er wollte sich, vielleicht auch "die anderen", die Zuschauer, bewahren vor dem Bild des Verfalls, des Alterns.
Samuel Becketts Film mit dem einfachen Titel Film (Regie: Alan Schneider) ist 1965 gedreht worden. Er handelt von der Scham des Menschen über sein Alter, als wäre das Alter kein natürlicher Abschnitt im Lebenslauf. Doch das Alter kann individuell leidvoll erfahren und es kann gesellschaftlich tabuisiert werden. Inzwischen hat sich die Problematik in den westlichen Gesellschaften zugespitzt. Viele vitale Alte haben ihre Scham abgelegt und tragen das Alter als Fortsetzung der Jugend zur Show, etwa beim Surfen an den Stränden von Mallorca. Immerhin hat sich die Gesellschaft unausgesprochen auf Ideale wie "jung", "leistungsfähig", "konsumorientiert" verständigt. Da müssen auch die Alten ihre sozialen Rollen im ökonomischen Kreislauf ausfüllen, wollen sie nicht als potenzielle Pflegefälle und damit als Kostenfaktoren erscheinen, die unsere Sozialsysteme unerquicklich belasten.
Dennoch lauern derzeit kaum noch Kameras auf sie. Sie sind kein Thema im Mainstream der Filmproduktion, deshalb interessieren sie sich nicht für diesen Mainstream, deshalb sind sie kein Thema. Ein Teufelskreis, der noch verstärkt wird durch jenes apodiktisch jugendliche Styling der erfolgreichen Multiplexe, das für ältere Cineasten zur unüberwindlichen Hürde werden kann. Selbstverständlich gibt es die Nischen, in denen alt gewordene Schauspieler tatsächlich 'Alter' spielen dürfen und nicht, wie Sean Connery oder Clint Eastwood, ihr jugendliches Heldenimage ungebrochen in die späten Lebensjahre transferieren. Da diese Filme Raritäten sind, haben sie oft die Chance zu Kultstreifen sogar junger Zuschauer zu werden, gehen sie doch empathisch und respektvoll mit den späten Jahren eines Menschen um. Wahrscheinlich ist Maude, lebensgierig am Rande des Todes, aus Hal Ashbys Harold und Maude die prominenteste Kultfigur unter den Alten. Doch Jackie O´Shea und Michael O´Sullivan, die glücklichen Räuber eines siegreichen Lottoloses in Lang lebe Ned Divine! von Kirk Jones, sind auf dem besten Weg, es ihr gleichzutun. Lina Braake oder Martha Jellneck – die Namen stehen jeweils für die Titel – sind in den Filmen von Bernhard Sinkel und Kai Wessel zwei prominente Alters-Heldinnen der deutschen Kinoproduktion. Eine ganze Reihe wichtiger Seniorenfiguren hat Marcello Mastroianni bei Theo Angelopoulos (Der Bienenzüchter), Giuseppe Tornatore (Allen geht´s gut) und Roberto Faenza (Erklärt Pereira) verkörpert. Doch das Altern des Helden ist erstaunlicherweise mit unerbittlicher Konsequenz von einem Schauspieler vorgeführt worden, von dem das kaum jemand erwartet hätte: John Wayne stellte in seinen späten Filmen – von Hawks´ El Dorado bis Siegels The Shootist – den Verfall des Westerners dar, der zuletzt, vom Krebs zerfressen, im Showdown unterliegen muss.
Alterstod und Altersschwäche sind aber kein Stoff für eine Medienindustrie, deren kommerzielles Ziel der Umsatz von Produkten auf der Basis des Vitalitätsprinzips ist. Senioren haben sich bisher als die soziale Gruppe erwiesen, die am meisten reklameresistent ist. Daher interessieren sich auch die Kameras des Fernsehens immer weniger für sie. Die Diskussionen im reklamefinanzierten Privatsender Sat 1, Sendungen für Menschen über Vierzig ganz zu kippen, sind noch gut erinnerlich. So kommt es zu einem sehr widersprüchlichen Phänomen: In einer Gesellschaft, die statistisch immer älter wird, in der die Alten als Mehrheit bald die jungen Generationen deutlich überwiegen werden, spielt diese Mehrheit in den audiovisuellen Medien eine relativ geringe Rolle. Es sieht so aus, als wäre die Würde des Alters nicht durch die Tiefenschärfe der Runzeln im Objektiv der Kamera verletzt, sondern durch die Ausgrenzung und das Verschweigen des Alters in den Medien überhaupt. Gegen diese Diskriminierung so zu rebellieren, wie ihre Spiegelbilder im Spielfilm es immer wieder tun, sind alle Alten aufgerufen.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 11.12.2006