Im Sommer 2011 wird Norwegen von einem doppelten Terroranschlag erschüttert. Der Rechtsextremist Anders Behring Breivik zündet eine Autobombe im Regierungsviertel von Oslo und fährt anschließend auf die Insel Utøya im Tyrifjord, etwa 30 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt. Dort schießt er gezielt auf Jugendliche eines sozialdemokratischen Ferienlagers und kann erst 70 Minuten später von der Polizei gestellt werden. Der 17-jährige Viljar Hanssen überlebt das Attentat schwer verletzt – und schwebt durch ein Projektil in seinem Kopf weiterhin in Lebensgefahr. Während Viljar, sein Bruder Torje und andere Überlebende von Utøya im Kreis ihrer Familien versuchen, das Trauma zu verarbeiten, beginnt in Oslo ein öffentlicher Prozess gegen Breivik, der reuelos mit seinen Taten prahlt.
Sieben Jahre nach den Anschlägen, in denen insgesamt 77 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt wurden, sind fast zeitgleich zwei Filme mit verwirrend ähnlichen Titeln erschienen: Der Norweger Erik Poppe hat mit
Utøya 22. Juli einen
Thriller über das Attentat
auf der Insel inszeniert, der aus der Situation der Opfer
Suspense erzeugt und von der Kritik fast einhellig abgelehnt wurde; die Netflix-Produktion mit dem Titel
22. Juli ist als multiperspektivisches Drama quasi das konzeptuelle Gegenstück. Der britische Regisseur Paul Greengrass hat in englischer Sprache gedreht, jedoch mit norwegischem Team und in Zusammenarbeit mit Betroffenen wie Viljar Hanssen. Im Gegensatz zu Poppe zeigt er auch Breiviks Perspektive und arbeitet sachlich-distanziert dessen Hass auf eine offene und kulturell vielfältige Gesellschaft als Motivation für die Anschlagsziele heraus. Im Zentrum des Films steht hingegen die psychische Widerstandsfähigkeit der Überlebenden. In ihren Aussagen vor Gericht – im Angesicht des Täters – findet der Film deshalb seinen emotionalen Höhepunkt.
Paul Greengrass hat sich einen Namen als Action-Regisseur der Agentenfilm-Reihe um
Jason Bourne gemacht, begann seine Karriere allerdings als Journalist bei der BBC. Ein journalistischer Ansatz zeichnet auch
22. Juli aus. Der komplexe Film vermittelt umfangreich recherchiertes Wissen über die Umstände und Folgen der Anschläge in Norwegen und wirft grundsätzliche Fragen auf, wie Demokratien sich gegen Terrorismus wappnen und wie sie ihn aufarbeiten können. Während der Sichtung können Schüler/-innen in Gruppenarbeit Beobachtungen zu den verschiedenen Perspektiven notieren, etwa zur Gruppe der Überlebenden und deren Eltern, zum Täter Breivik, zu den Regierungsvertretern und zur Justiz. Dabei sollte besonders beachtet werden, wie die jeweiligen Figuren filmisch
in Szene gesetzt werden. In Politik und Sozialkunde können das Verhältnis zwischen Terrorismus und Rechtsstaat, in Deutsch und Ethik die Aufarbeitung von Traumata vertieft werden.
Autor/in: Jan-Philipp Kohlmann, 05.12.2018
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