Am 8. August 1974 trat der mächtigste Mann der Welt zurück: Richard Milhous Nixon, 37. Präsident der Vereinigten Staaten. Auslöser der Krise war ein Einbruch in das Watergate-Hotel, Hauptquartier der Demokraten im Wahlkampf 1972. Auch wenn der Republikaner Nixon noch die Präsidentschaftswahlen gewann und seine Vertrauten als Bauernopfer feuerte, sein Niedergang war nicht mehr aufzuhalten.
Ausgehend von der "Watergate Affäre" inszeniert Oliver Stone ein tiefenpsychologisches Drama, skizziert in epischer Breite Aufstieg und Fall von "Tricky" Nixon. Es entsteht das facettenreiche Porträt eines Mannes einfacher Herkunft, der sich als gnadenloser Kommunistenjäger profilierte, zeit seines Lebens um Anerkennung kämpfte, aber immer der "underdog" blieb. Nie konnte es der Eisenhower-Vize verwinden, dass er 1960 gegen den charismatischen John F. Kennedy die Präsidentschaftswahl verlor und zwei Jahre später auch die Gouverneurswahl in Kalifornien. Nach einem privat motivierten Rückzug aus der Politik gelang ihm ein triumphales Comeback, schaffte er 1968 den Sprung ins Weiße Haus (nach den Morden an John F. Kennedy und Robert Kennedy). Der als Hardliner und Verlängerer des Vietnamkriegs geltende Präsident verfing sich im Dickicht des Illegalen. Er ließ unliebsame Journalisten und politische Gegner observieren, korrumpierte und trickste, um sich an der macht zu halten, und ging am Ende an seiner eigenen Profilierungssucht zu Grunde.
Stone nähert sich der historischen Figur nicht demagogisch oder demontiert sie, sondern zeigt sie in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit – bis zum bitteren Ende. Besonderes Augenmerk widmet er Nixons Kindheit und Jugend, der Schlüssel zu seinem Verhalten: Da sind die beengenden Verhältnisse in einer Kaufmannsfamilie, die liebevoll-strenge Quäker-Mutter, der Tod zweier an Tuberkulose erkrankter Brüder. Nie konnte sich der Machtmensch von dem "Makel" seiner Vergangenheit befreien, immer musste er beweisen, dass er mindestens ebenso gut war wie andere, denen der Erfolg in den Schoß fiel, wie er meinte. Der reiche Kennedy-Clan wurde so zu einer Art Trauma für ihn. Wie in einer klassischen Tragödie umgibt den Held eine Aura von Einsamkeit, sein Lächeln erstarrt zur Grimasse, überall wittert er Konkurrez, Feinde und Verrat.
Über drei Stunden lang präsentiert Stone eine ungewöhnliche Geschichtslektion, wechselt – manchmal nicht nachvollziehbar – von schwarz-weiß in Farbe, zwischen fiktiven Szenen und Archivmaterial, irritiert teilweise durch rasante Schnittfolgen und kameratechnische Spielereien wie schon in "Natural Born Killers". Nur kurz lässt der sonst unbestechliche Chronist Amerikas seinen umstrittenen Verschwörungs-Theorien am Kennedy-Mord ihren Lauf, suggeriert subtil eine Mitschuld Nixons. Sein Film ist fast eine Art Aussöhnung der Flower-Power-Generation mit ihrem einstigen Erzfeind, denn er stellt ihn dar als einen zutiefst verunsicherten und mutterfixierten Menschen, der mehr Mitleid als Hass oder Verachtung hervorruft.
Intensität und Authentizität gewinnt das Drama nicht nur durch akribische Recherchen, sondern auch durch Anthony Hopkins. Der Waliser spielt Nixon als Opfer seiner selbst in seiner ganzen Verschlagenheit und Verwundbarkeit. Mit diesem decouvrierenden Blick in die dunklen Korridore der Macht gelingt Stone ein aufregender Polit-Film über einen Mann, der nur eins wollte – geliebt werden.
Autor/in: Margret Köhler, 01.01.1996