Seit Jahrzehnten arbeitet der Witwer Abu Raed als Reinigungskraft auf dem Flughafen von Amman. Als er eines Tages mit der Mütze eines Flugkapitäns heimkehrt, glauben die Kinder in seinem Viertel jedoch, er sei Pilot. Um die Jungen und Mädchen nicht zu enttäuschen, erzählt der belesene Alte ihnen fortan abenteuerliche Geschichten aus fernen Ländern, die er tatsächlich aber nie bereist hat. Als vermeintlicher Pilot wird Abu Raed für sie zu einem Symbol eines besseren Lebens. Doch auch der alte Mann gewinnt durch die "Märchenstunden" an Zuversicht: Sie erlösen ihn aus seiner Einsamkeit und geben seinem Dasein neuen Sinn. Denn zunehmend nimmt er aktiv am Leben der Kinder teil, die es wie Tareq, der als Straßenverkäufer arbeiten muss und deshalb nicht zur Schule gehen kann, oder Murad, der unter einem gewalttätigen Vater leidet, nicht einfach haben.
Über diese und weitere Figuren aus dem Umfeld des alten Mannes gibt der Film
Captain Abu Raed Einblicke in unterschiedliche Schicksale. Trotz der schwierigen Lebensumstände der Kinder verzichtet Regisseur Amin Matalqa dabei auf eine sozial-realistische Ästhetik. Stattdessen erzeugt er mit langen ruhigen Einstellungen und leuchtenden
Brauntönen einen "Arthouse-Look", der das Märchenhafte der Geschichte betont.
Das Leitmotiv des Filmes ist die – seelische wie geografische – Reise: Erfahrungen des Festgebundenseins und der Perspektivlosigkeit stehen Träumen von Aufbruch und Veränderung gegenüber. Die harten Lebenswirklichkeiten werden abgefedert durch die Erzählungen von Abu Raed, der damit neue Horizonte eröffnet, ohne dabei die Wirklichkeit zu verdrängen. Erst am Filmende erfahren die Zuschauer/innen, dass zumindest einem der Jungen der soziale Aufstieg gelungen ist. In diesem Moment erweist sich die Geschichte des Films als Rückblick eines Erwachsenen auf seine Kindheit.
Im Gegensatz zu den arabischen Nachbarländern Ägypten und Syrien mit einer alten Filmgeschichte verfügt das Königreich Jordanien über keine nennenswerte filmische Tradition. Amin Matalqas
Captain Abu Raed ist der erste jordanische Spielfilm, der ein internationales Publikum erreicht. Dabei sind seine Themen über kulturelle Grenzen hinweg verständlich, können aber wie auch die Frage ihrer globalen Gültigkeit im Unterricht diskutiert werden: Wie unterscheiden sich im Vergleich zu Deutschland etwa die Konzepte von Kindheit und Erwachsenwerden? Welche Rolle spielen Bildung und Schulbesuch? Was erfährt man im Film über die sozialen Rollen von alten Menschen, Frauen und Kindern? Welche Rechte haben insbesondere Kinder? Und nicht zuletzt geht es im Film auch um die Kraft des Träumens.
Autor/in: Amin Farzanefar, 10.03.2009
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