Barnabas Collins ist kein gewöhnlicher Vampir. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde er "lebendig" begraben. Zweihundert Jahre später bei Bauarbeiten exhumiert, findet er sich in der völlig veränderten Welt des Jahres 1972 wieder. Es ist ein böses Erwachen: Mode, Musik und gesellschaftliche Gepflogenheiten der Hippie- und Disco-Ära verstören ihn zutiefst. Bei den Menschen hingegen löst sein aristokratischer Habitus Befremden aus. Bei seiner heruntergekommenen Familie findet er immerhin Unterschlupf – die "entfernten" Verwandten wohnen noch immer im verwitterten Stammsitz Collinwood Manor. Mit ihnen plant Barnabas den Rachefeldzug gegen die eifersüchtige Hexe, deren Fluch er sein Schicksal verdankt, sowie die Wiedervereinigung mit seiner großen Liebe aus uralter Zeit.
Dark Shadows beruht auf einer hierzulande kaum bekannten US-Serie der 1960er-Jahre, trägt jedoch alle Markenzeichen von Meisterregisseur Tim Burton. Sein klassischer "Gothic Horror" kommt stets mit einem Augenzwinkern daher. So taucht der Film nach einer düsteren Exposition, die Barnabas’ Vorgeschichte enthüllt, tief hinein in die schrille Farbenpracht der 1970er-Jahre. Die im Pop-Art-Stil komponierten, zum Teil computergenerierten Bilder sind begleitet von einem ebenso zeitgenössischen
Soundtrack aus psychedelischem Folk und Glam Rock. Der Kontrast aus exaltierter Gegenwart und den überfeinerten Manieren des allzu altmodischen Vampirs erzeugt den gewünschten Witz. Blut fließt hingegen nur wenig. Die Gewalttaten, mit denen der Untote sein natürliches Verlangen stillt, geschehen gelegentlich sogar außerhalb des Bilds.
Jenseits einer emotional schlüssigen Handlung begeistert die Vampirpersiflage vor allem durch Optik und Effekte. Das schauerromantische Motiv der ewigen Liebe, prägend für die bei Jugendlichen populäre
Twilight-Serie (USA 2008-2011), findet sich nur in Ansätzen. Der Film will vor allem Spaß machen. Das allgemeine Thema historischen Wertewandels – Barnabas verfolgt Diskussionen über Geschlechterrollen und den Vietnamkrieg – kann im Unterricht zumindest skizziert werden. Ergiebiger erscheinen Erörterungen zum Vampirgenre und dessen Geschichte in Literatur und Film. Denn Regisseur Burton spart nicht mit popkulturellen Verweisen auf die Klassiker, von
Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (Friedrich Wilhelm Murnau, Deutschland 1921) und
Dracula (Tod Browning, USA 1931) bis hin zur
Rocky Horror Picture Show (Jim Sharman, USA 1975). Die Verknüpfung bewährter Genrestandards als künstlerisches und kommerzielles Prinzip kann in diesem Rahmen diskutiert werden und auch zu eigenen Ideen anregen.
Autor/in: Philipp Bühler, 09.05.2012
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