Am Sterbebett des Alt-Hippies und "Patriarchen" Hans treffen sich nach zwanzig Jahren seine vier Kinder wieder, die aus mehreren Beziehungen des Verstorbenen hervorgegangenen sind. Gemeinsam erinnern sie sich an ihre Kindheit in der alternativen Wohn- und Lebensgemeinschaft in einem steirischen Landhaus und an die teilweise dramatischen Ereignisse, die zum Zerfall der Kommune führten. In der Gegenwart brechen derweil zwischen der Witwe, den Geschwistern und deren Lebenspartnern/innen neue Konflikte auf.
Marie Kreutzer blickt in ihrem eindringlich gespielten Ensemblefilm auf die "gelebten Utopien" der frühen 1980er-Jahre zurück, indem sie anhand der Nachfolgegeneration das Für und Wider in einer Ausnahmesituation noch einmal filmisch nacherleben lässt. In zahlreichen
Rückblenden wird die Kindheit der Geschwister lebendig, wobei Kreutzer die Erinnerungen durch die stichigen
Farbtöne des verblichenen Foto- und Filmmaterials von der Gegenwart stilistisch abgrenzt. Die laufende Handlung ist als Folge von Auseinandersetzungen inszeniert, in der sich die Figuren in wechselnden Konstellationen einander ihre Sehnsüchte und Verletzungen bewusst machen. Dabei stört lediglich die forciert wirkende Enthüllung eines in der Vergangenheit begangenen "Verbrechens".
Kreutzers Spielfilmdebüt zeichnet sich durch die ausgewogene Darstellung des Themas "alternative Lebens- und Familienstrukturen" aus. Die
Rückblenden sind weder nostalgisch noch satirisch gefärbt und werden durch die verschiedenen Perspektiven der Figuren auf vielfältige Weise zugänglich gemacht. Für den Unterricht in der Oberstufe ergeben sich dadurch zahlreiche Anknüpfungspunkte, um Vor- und Nachteile anti-autoritärer Erziehung und neuer Lebensentwürfe zu diskutieren. Außerdem bietet sich ein filmanalytischer Blick auf die
Rückblenden-Struktur des Films an. Am Beispiel von
Die Vaterlosen lässt sich die grundlegende Unterscheidung zwischen visualisierten subjektiven Erinnerungen und "externen", also an keine Person gebundene Rückblenden vermitteln. An Filmen wie dem Klassiker
Citizen Kane (Orson Welles, USA 1941) kann dieses Stilmittel zudem näher untersucht werden.
Autor/in: Michael Kohler, Publizist und Filmkritiker, 03.08.2011
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