Julien ist um die 40, lebt zurückgezogen mit seiner Katze und restauriert alte Turmuhren. Nebenbei erpresst er die elegante Stoffhändlerin Madame X. Aus seiner Lethargie erwacht Julien erst, als die attraktive junge Marie in sein Leben tritt. Gemeinsam erfinden sie eine Liebe voller Leidenschaft und sexueller Fantasien. Doch die aufblühende Beziehung wird von Maries seltsam kühlem Verhalten überschattet. Was verbirgt sie vor ihm? Ausgerechnet Madame X scheint ihr Geheimnis zu kennen. – Jacques Rivettes neues Meisterwerk, dem 27 Jahre zuvor ein abgebrochener erster Anlauf zur Verfilmung des Stoffes vorausging, besticht durch glänzende Schauspielerleistungen, eine subtile Inszenierung und ein raffiniert komponiertes Drehbuch, bei dem er, wie schon in früheren Projekten, mit Pascal Bonitzer und Christine Laurent zusammenarbeitete. Wie in seinem bisherigen Oeuvre lässt sich Rivette (bei 150 Minuten) wieder reichlich Zeit beim Erzählen, das überraschend wenig Dialoge benötigt. Je mehr sich die Erzählperspektive des Liebesfilms vom bodenständigen Julien zur charmanten Julie verschiebt, um so wichtiger werden die übersinnlichen Momente. Einige Motive mögen Assoziationen zum Mystery-Thriller The Sixth Sense , den Gespensterfilm The Others und den Hitchcock-Klassiker Vertigo sowie die antike Sage von Orpheus und Eurydike wecken, doch integriert Rivette derlei Anregungen souverän in ein intelligentes filmisches Vexierspiel. Einfühlsam thematisiert es die anscheinend aussichtslose Suche nach seelischer Erlösung und feiert einfallsreich die Liebe als Macht, die den Tod besiegen und transzendieren kann.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.08.2004