Auf der Flucht vor einer Gangsterbande findet die junge Grace Zuflucht und Schutz in dem abgeschiedenen Bergdorf Dogville mitten in den Rocky Mountains. Durch Fürsprache des von hehren Idealen geprägten Tom erhält sie ein vorläufiges Bleiberecht von den illustren Dorfbewohnern, die der Fremden zunächst mit Argwohn und Ablehnung begegnet sind. Als Gegenleistung muss sie jedem eine Stunde täglich bei der Arbeit helfen. Alle sind rundum glücklich und zufrieden, bis ein Sheriff auftaucht und ein Steckbrief davon kündet, dass Grace gegen Belohnung gesucht wird. Von nun an muss Grace härter arbeiten und als sie zu fliehen versucht, wird sie gefesselt, vergewaltigt und von den Einwohnern als Sklavin gehalten. Doch was wäre, wenn Grace plötzlich die Macht hätte, sich für dieses schändliche Verhalten zu rächen? – Das von Lars von Trier meisterhaft inszenierte Lehrstück über das Gute und das Böse im Menschen sowie über Schuld und Sühne im ganz alltäglichen zwischenmenschlichen Beziehungsreigen besticht gleichermaßen durch herausragende Schauspielerleistungen (insbesondere Nicole Kidman in der Rolle der demütigen und fast unendlich duldsamen Grace), wie durch seine ungewöhnliche Form. Die gesamte Handlung des in der Originalfassung etwa dreistündigen Films spielt auf einer Bühne, auf der die Kulissen des Dorfes mit nur wenigen Requisiten angedeutet sind und alle Wände fehlen. Es bleibt der Imaginationskraft des Zuschauers überlassen, sich das Fehlende hinzu zu denken. Was zunächst wie ein Verfremdungseffekt im Brechtschen Sinn wirkt und sehr gewöhnungsbedürftig ist, verliert durch das intensive Spiel der Darsteller, denen Lars von Trier offensichtlich das Letzte abverlangt hat, bald an Bedeutung und man klebt nur noch an den Figuren und ihren Gefühlen; Äußerlichkeiten haben jede Bedeutung, jeden rein zeitbezogenen Sinn verloren. Ein gewichtiger Film über die Grenzen der Toleranz, die mögliche Mitschuld der Opfer und die "schlimmstmögliche Wendung" im Drama, wenn die Gesetze der Nächstenliebe und der Vergebung außer Kraft gesetzt sind.
Autor/in: Holger Twele, 01.10.2003