Kaum ein Leinwandheld rang nach dem Ende des Kalten Krieges so lange um Orientierung wie James Bond. Sechs Jahre lang blieb der Agent untergetaucht, um in
GoldenEye (Martin Campbell, Großbritannien, USA 1995) seine Rückkehr als Lebemann zu feiern, der weiß, dass seine besten Tage vorbei sind und seine absurde Existenz deshalb umso mehr genießt. Vier Filme später ging man in
Casino Royale (Martin Campbell, Großbritannien, USA, Tschechien 2006) dann den umgekehrten Weg: Ohne seine überlegene Ironie stand Bond buchstäblich nackt vor uns, eine von früherer Dekadenz gereinigte Figur, die ihre Gegner mit Muskelkraft statt mit High-Tech-Waffen besiegt und schließlich gar um die ermordete Geliebte trauert.
Ein Quantum Trost schließt unmittelbar an das Ende von
Casino Royale an, behält den raschen transkontinentalen Wechsel der teils exotischen Schauplätze und die rasanten Verfolgungsjagden bei, treibt allerdings das Primat des Handelns auf die Spitze. Grimmig eilt der Held von einem actionreichen Höhepunkt zum nächsten, wobei ihm nur eine Handvoll kurzer Dialogszenen vergönnt sind. Endgültig aus der Bond-Serie verabschiedet wurde auch der comichafte Superschurke. Stattdessen kämpft Bond nun gegen Quantum, einen lockeren Geheimbund von Wirtschaftsmagnaten, die sich unter dem Deckmantel des Naturschutzes unerschlossene Rohstoffvorräte sichern wollen. Dazu destabilisieren sie nicht nur Schwellenländer wie Bolivien politisch, sondern unterwandern auch die Machtzentralen der westlichen Nationen. Nach einem Mordanschlag im innersten Kreis des britischen Geheimdiensts wird Vertrauen zum knappsten Rohstoff überhaupt.
Nachdem
Casino Royale seine Hauptfigur als gebrochenen Helden etablierte, bekommt die Bond-Figur nun eine deutliche inhaltliche Akzentuierung: In einer Welt, in der auf nichts und niemanden mehr Verlass ist, verkörpert der Superagent den stets kurz entschlossenen Einzelkämpfer, der sich weder an Moral noch an einen beruflichen Ehrenkodex gebunden fühlt und seine eigene Regeln schafft. Damit ähnelt der neue Bond weniger seinen smarten Vorläufern als anderen modernen Actionhelden: dem Fledermausmann aus
The Dark Knight (Christopher Nolan, USA 2008) oder Jason Bourne (
Die Bourne Identität, Doug Liman, USA 2001), mit dessen Leinwand-Abenteuern
Ein Quantum Trost zudem den atemlosen Inszenierungsstil, die rasanten
Montagen und die unruhige
Handkamera gemein hat.
Die "Modernisierung" der von dem englischen Romanautor Ian Fleming 1953 erschaffenen James Bond-Figur bietet für die filmpädagogische Arbeit mit Jugendlichen zahlreiche Anknüpfungspunkte. Offenbar versuchen Drehbuchautor Paul Haggis (
Million Dollar Baby, Clint Eastwood, USA 2004) und Regisseur Marc Forster (
Drachenläufer, USA 2007) mit dieser Akzentuierung, Bond aus seinem popkulturellen Kosmos zu lösen und zu einer "wirklichen" Figur zu machen. Doch wie glaubhaft wirkt der neue Bond? Da diese "Menschwerdung" in einer als kalt und brutal gezeichneten Welt stattfindet, schließt sich beinahe automatisch die Frage an, inwiefern Bonds Rücksichtslosigkeit aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegelt. Passende Stichworte dazu sind: Vereinzelung, Wertezerfall, Verteilungskampf. Zudem wird mit dem neuen 007 auch die angebliche oder tatsächliche Ohnmacht der staatlichen Sicherheitsorgane gegenüber globalen Bedrohungen thematisiert. Filmhistorisch interessant sind die Actionszenen: In ihnen wird konsequent auf das Stilmittel der Desorientierung gesetzt, wegen der hohen Schnittfrequenz sind die Zuschauenden kaum in der Lage, einzelne Schritte der aufwendig inszenierten Kettenreaktionen nachzuvollziehen. Hier könnte ein Vergleich mit einem klassischen Actionfilm wie
French Connection – Brennpunkt Brooklyn (William Friedkin, USA 1971) zeigen, dass man Spannung auch erzielen kann, wenn das Publikum die Übersicht behält und dadurch stärker ins Geschehen einbezogen wird.
Autor/in: Michael Kohler, 05.11.2008
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