Joby Taylor, ein junger, mäßig erfolgreicher Rockmusiker fährt von Chicago nach Massena, eine Stadt in der Nähe der kanadischen Grenze, weil seine Frau Claire die Scheidung eingereicht hat. Seit Jahren hat er sie nicht mehr gesehen, auch zu der gemeinsamen Tochter Ellen hat Joby keinen Kontakt. Doch als er die vorbereiteten Scheidungspapiere unterschreiben soll, wird Joby klar, dass er – um seinen Anteil an dem gemeinsamen Haus zu behalten – das Sorgerecht für die Sechsjährige komplett an seine Frau abtreten soll. Doch dazu ist er innerlich noch nicht bereit. Nach langer Zeit sucht Joby erstmals wieder den Kontakt zu seinem Kind.
Wie in ihrem letzten, mehrfach ausgezeichneten Film
Treeless Mountain (USA, Südkorea 2008) setzt sich So Yong Kim am Beispiel einer zerrütteten Familie mit den inneren Prozessen von Verantwortung, Lebensgestaltung und innerlicher Reife auseinander. In ruhigen,
farblich entsättigten Bildern entwickelt die Regisseurin eine sensible Gefühlsstudie von beeindruckender atmosphärischer Dichte. Die Handlung, nur selten akzentuiert durch
Rockmusik im On und Off, besteht aus Momentaufnahmen: Meist aus der Distanz beobachtet sie den inmitten der verschneiten Kleinstadt verloren wirkenden jungen Mann. Das schmutzige Weiß der Straßen wird zur Projektionsfläche für Jobys Unsicherheit, seiner tastenden Suche nach dem, was er eigentlich will. Nur in der Begegnung mit seiner kleinen Tochter scheint sich schließlich ein wenig Nähe und die vage Möglichkeit eines anderen Lebens abzuzeichnen.
For Ellen verzichtet darauf, innere Konflikte in Dialogen auszutragen und erzählt seine Geschichte mit Bildern, vor allem jedoch durch die intensive Präsenz der beiden Protagonisten/innen Joby und Ellen. Beginnend von der symbolischen Bedeutung von Natur und Farbgebung bis hin zum bewussten Einsatz von Musik, bietet hervorragende Möglichkeiten, mit Jugendlichen filmästhetische Darstellungsmöglichkeiten zu analysieren. Auf thematischer Ebene finden sich Anknüpfungspunkte zu entwicklungsrelevanten Themen wie Selbstfindung, Lebensentwürfe, Familien- und Rollenbildern. Wie hätte ich in dieser Situation gehandelt? Hätte ich mich anders entschieden? Der Film gibt keine vorgefertigten Antworten, sondern öffnet den Raum für eine offene Auseinandersetzung mit solchen Fragen.
Autor/in: Ula Brunner, 02.01.2013
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