Mohammeds verwitwete Mutter hat ihre Kühe für umgerechnet 1.500 Euro verkauft, um ihren ältesten Sohn nach Europa zu schicken: Dort soll er Arbeit finden, um die daheim gebliebene Familie zu unterstützen. "Eigentlich will ich Mali gar nicht verlassen", gesteht der 35-Jährige, bevor er aufbricht. Sein Weg führt ihn über Algerien nach Marokko an die Mittelmeerküste, von wo aus er sich irgendwie nach Europa und in ein fremdes Land durchschlagen will. Seit zweieinhalb Jahren ist Mohammed mittlerweile unterwegs. Einmal hatte er es bis auf die Kanarischen Inseln geschafft und wurde dann abgeschoben. Nun versucht er es erneut, genau wie Jerry, ein Musiker aus Kamerun, der bereits seit vier Jahren auf dem Weg ins "Paradies Europa" ist. Die beiden Männer fühlen sich in der Pflicht, denn für ihre Familien sind sie die letzte Hoffnung auf ein besseres Leben.
Der Dokumentarfilm
Fremd zeichnet sich durch die große Nähe zu seinen Mitwirkenden aus, deren zermürbenden Alltag er in
ruhigen Bildern einfängt. Miriam Faßbender hat Mohammed und Jerry jahrelang auf verschiedenen Stationen ihrer Odyssee begleitet. Ihr Ziel war es, der anonymen Masse der Migranten/innen "ein Gesicht zu verleihen" und sie für "sich selbst zu sprechen" zu lassen. So kommen die beiden Männer nicht nur selbst zu Wort, die Regisseurin hat ihnen zeitweilig auch eigenhändig die Kamera überlassen. Die von ihnen gedrehten Passagen wurden im Film zwar nicht als solche kenntlich gemacht, doch konnten Mohammed und Jerry so eigene Akzente setzen und ihr Leben dokumentieren. Dieses ist geprägt von Hunger, Durst, Anfeindungen und Warten. Ihre Reise ins ferne Europa ist eine Bewegung, die ständig zum Stillstand kommt.
In Europa werden Menschen wie Mohammed und Jerry oft als "Armutsflüchtlinge" bezeichnet. Im Film erfährt man nun, was sie zum Aufbruch in eine ungewisse Zukunft bewegte und welche Hoffnungen sie mit der Migration verbinden.
Fremd eröffnet insofern im Politik-, Wirtschafts- oder Geografieunterricht einen guten Einstieg in die afrikanische Flüchtlingsproblematik, zumal es die Filmemacherin vermeidet, einfache Lösungen aufzuzeichnen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Beschäftigung mit der Grenzpolitik der sogenannten Festung Europa und der Frage, inwiefern diese mit dem Schengener Abkommen kollidiert. Wie reagieren vor allem die Anrainerstaaten des Mittelmeers auf die Flüchtlinge? Mit welchen Begründungen werden Migranten/innen aus Afrika wieder in ihre Heimatländer zurückgesandt und welche Rechte haben jene, die versuchen sich als Illegale ein neues Leben aufzubauen?
Autor/in: Kirsten Taylor, 24.04.2013
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