Der zwölfjährige Cengo lebt mit seiner mittellosen Familie in Nuseybin, einer kurdischen Kleinstadt im Osten der Türkei. Dort lernt der Junge einen verwirrten, stummen alten Mann namens Xelio kennen, der in einem verlassenen Laden nächtigt und sonst strammen Schrittes auf der Straße hin und her hastet wie eine hospitalisierte Raubkatze in einem Käfig. Cengo freundet sich mit dem Alten an und macht ihn mit seinen Spielkameraden bekannt. Als das türkische Militär 1980 die Macht übernimmt und eine Ausgangssperre verhängt, hat dies große Auswirkungen auf das Leben der Kurden.
Meş – Lauf! ist einer der ersten in den kurdischen Gebieten der Türkei und in kurdischer Sprache gedrehten Spielfilme. Einfühlsam schildert er die von willkürlicher militärischer Gewalt, Angst und bitterer Armut geprägte Lebenssituation der Kurden in der Osttürkei Anfang der 1980er-Jahre. Unter bewusstem Verzicht auf eine starke Dramatisierung entwickelt der syrische Kurde Shiar Abdi die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft. Seine zurückhaltende Inszenierung wird bestimmt von sparsamen Dialogen, langen Kameraeinstellungen, einfachen Bildern und
Großaufnahmen von ausdrucksstarken Gesichtern. Der stimmungsvolle
Soundtrack, der klassische Stilelemente mit folkloristischen Klängen verbindet, konterkariert auf magische Weise die harte Lebensrealität der Figuren.
Der junge Held Cengo, dessen Perspektive der Film weitgehend einnimmt, eignet sich mit seiner mitfühlenden und doch selbstbestimmten Art als positive Identifikationsfigur für ein junges Publikum. Der Austausch über persönliche Erfahrungen von Ausgrenzung bietet einen guten Einstieg in den politischen Konflikt zwischen Türken und Kurden. Da jedoch die geschichtlichen Hintergründe für den Militärputsch in der Türkei im Film nur rudimentär angedeutet werden, sollten diese zum besseren Verständnis im Unterricht anhand von weiterführenden Materialien und Quellen vertieft werden. Darüber hinaus können Schüler/innen das eigenartige Verhalten Xelilos reflektieren: Warum ist er verstummt, welches schreckliche Geheimnis oder Trauma hütet er? Wer ist in dieser Geschichte eigentlich verrückt? Und warum freunden sich die Kinder mit ihm an?
Autor/in: Kirsten Liese, 22.05.2012
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Min Dît (Filmbesprechung vom 16.04.2010)
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.