Kinder und Tod, das ist im Kino immer ein schwieriges Thema. Die junge schottische Regisseurin Lynne Ramsay hat diese Herausforderung glänzend bestanden. In ihrem ersten Spielfilm erzählt sie von einem zwölfjährigen Jungen, der Anfang der 70er Jahre in einem trostlosen Arbeiterquartier in Glasgow einen Nachbarjungen bei einer Rangelei so unglücklich in einen Kanal stößt, dass dieser ertrinkt. Von Schuldgefühlen geplagt, von seinen Eltern alleingelassen und von der örtlichen Jungenbande geschnitten, flüchtet sich der fantasievolle James in Tagträume, in denen er mit seiner Familie in eine adrette Neubausiedlung umzieht. – Das behutsam und eindringlich inszenierte Sozialdrama, das bereits mehrere internationale Auszeichnungen gewann, zeichnet das Elendsmilieu detailliert und authentisch nach, verfällt jedoch nie in eine mitleidheischende Elendslarmoyanz. Dazu tragen die betont nüchtern beobachtende Kamera ebenso bei wie die visuelle Poesie der Imaginationskraft des Jungen, aus dessen Sicht konsequent erzählt wird. Überraschend ist vor allem die Souveränität, mit der die Regisseurin die jungen Laiendarsteller führt. Vor allem William Eadie als isolierter James erweist sich als großes Talent.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.01.2001