Der junge Elliot Teichberg hilft im hoch verschuldeten Motel seiner Eltern aus und verzweifelt zusehends an deren mürrischer Nörgelei. Um das Geschäft anzukurbeln, veranstaltet er jedes Jahr ein Festival, das mit dem Ausdruck "provinziell" freundlich umschrieben ist. Damit hat er jedoch genau die amtliche Erlaubnis in der Tasche, die den gerade aus einer anderen Gemeinde vertriebenen Organisatoren/innen des Woodstock-Open-Air-Festivals fehlt. Kurz entschlossen holt er das dreitägige Rockkonzert in sein Heimatdorf und lockt damit annähernd eine halbe Million Besucher/innen nach Bethel im US-Bundesstaat New York.
In seiner Verfilmung der Erinnerungen von Elliot Teichberg (heute: Elliot Tiber) nähert sich Ang Lee dem berühmten Woodstock-Festival durch die Hintertür. Die
Musik weht lediglich als ferner Klang herüber, statt auf der Bühne versucht Lee, das Lebensgefühl der Blumenkinder am Rande des Geschehens und in meist komödiantischen Impressionen einzufangen. Dieser schweifende Blick zeigt sich in eingestreuten Split-Screen-Bildern, besonders eindrucksvoll aber in einer minutenlangen
Kamerafahrt: Auf einem Motorrad schlängelt sich Elliot die von Autos verstopfte Straße zum Festivalhügel hinauf, während unzählige ikonische Momentaufnahmen an ihm vorüberziehen.
Das Woodstock-Festival ging als friedliches Gemeinschaftserlebnis in die Geschichte ein und half, das Selbstbild der Hippie-Generation zu formen. Dieser Mythos wurde nicht zuletzt durch Michael Wadleighs
Dokumentarfilm Woodstock (USA 1970) geprägt, dessen Aufnahmen Ang Lee wiederholt zitiert und deren Entstehung er in einigen Fällen rekonstruiert. Eine lohnende Frage wäre daher, wie moderne Mythen entstehen und welche Rolle die Populärkultur, hier vor allem die Musik, bei der Bildung von Gruppenidentitäten spielt. Daran anschließend lässt sich untersuchen, wieviel Woodstock in aktuelleren Massenphänomenen und deren medialer Aufarbeitung steckt. Mögliche Beispiele wären die Amtseinführung von Präsident Barack Obama, der Mauerfall oder das jährlich im norddeutschen Wacken stattfindende Heavy-Metal-Festival, von dem der Dokumentarfilm
Full Metal Village (D 2006, Sung-hyung Cho ) erzählt. Wie in
Taking Woodstock treffen dort scheinbar unvereinbare Lebenswelten aufeinander und erscheint das Festival für einige Einheimische als Möglichkeit der Emanzipation und insgesamt als Beispiel, wie sich auf Unkenntnis beruhende Vorurteile allmählich aufzulösen beginnen.
Autor/in: Michael Kohler, 02.09.2009
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