Als der Franzose Charles über die Grenze nach Kasachstan fährt, lässt er nach und nach alles hinter sich, was ihn mit einem normalen gesellschaftlichen Leben verbindet: Auto, Geld, Papiere. Mit seiner Reisetasche und einer Blechtasse stolpert er durch die Steppen Kasachstans, an verlassenen Kolchosen, Bohrtürmen, Dörfern und Kamelherden vorbei. Hinter ihm liegt eine Tragödie. Seine Frau und seine beiden Kinder sind bei einem Verkehrsunfall gestorben. So aus seinem normalen Leben herauskatapultiert, meidet er die Menschen, sucht Stille, Einsamkeit, vielleicht sogar den Tod. Der wunderliche "Worthändler" Shakuni, der ihm eines Nachts begegnet, rät dem Wanderer: "Kauf Dir ein Pferd, aber ein altes, das ist billiger".
Ulzhan, die hübsche, junge Lehrerin, Tochter des Pferdehändlers, belehrt ihn eines Besseren: Ältere Pferde seien teurer, denn sie würden sich im Gegensatz zu jüngeren niemals verlaufen, erklärt sie ihm, und überlässt ihm schließlich ihr eigenes, eigentlich unverkäufliches Pferd. Charles macht sich damit auf den Weg zum Khan Tengri, einem Berg an der Grenze zu China, den die Schamanen aufsuchen, wenn sie fühlen, dass ihre letzte Stunde naht. Dort ist er einer längst vergangenen Kultur auf der Spur, deren alte Schriften schon in Paris in seine Hände geraten waren. Gegen Charles’ Willen folgt Ulzhan ihm, versorgt ihn, rettet ihn nach einem Sandsturm und lässt sich – zunächst – nicht abschütteln.
Der Film lebt vor allem von dem lyrisch-versponnenen Drehbuch Jean-Claude Carrières, der auch für Regisseure wie Louis Malle, Luis Buñuel, Andrzej Wajda und Jean-Luc Godard gearbeitet hat. Die melancholische Geschichte beschäftigt sich mit den existenziellen Themen Liebe, Tod, Einsamkeit und visualisiert sie auf der optischen Folie einer uns fremden Kultur. Immer wieder geht es um Sprache: Der Protagonist trägt unentschlüsselbare Texte mit sich herum, der "Worthändler" sucht und verkauft verlorengegangene Wörter, ein Teil der Dialoge des Films bleibt unsynchronisiert.
Ulzan – Das vergessene Licht mischt eine Reise und das Getriebensein des Protagonisten mit einer rätselhaft bleibenden Liebesgeschichte und märchenhaften Motiven. Wir schauen den äußeren Bewegungen der Figuren zu und treiben mit ihnen durch unberührte Natur, aber auch durch ehemals idyllische Landschaften, an denen die Zivilisation ihre zerstörerischen Spuren hinterlassen hat, vorbei an Ölfeldern, Autokolonnen oder Hochhäusern. Dies bietet Gelegenheit, sich mit politischen und ökonomischen Aspekten der Entwicklung des Landes zu beschäftigen. Filmpädagogisch ist eine philosophische Diskussion über die Grundthemen des Lebens und Lebenskrisen, aber auch eine Reflexion von Sprache, ihrer Veränderbarkeit und dem Verschwinden von Wörtern denkbar.
Autor/in: Christiane Keppler, 12.12.2007
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