Es muss wohl Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, als sich Ingeborg Bachmann und Paul Celan im Frühjahr 1948 in Wien erstmals begegnen. Und nicht nur das. Es scheint bei aller Anziehung auch von Beginn an eine unmögliche Liebe gewesen zu sein. Vieles trennt sie, am offensichtlichsten ihre Biografien: Sie, die 21-jährige Philosophiestudentin aus Klagenfurt, hat einen Vater, der als NSDAP-Mitglied den deutschen Einmarsch in Österreich begrüßt hatte. Er, 1920 in Czernowitz als Sohn deutschsprachiger Juden geboren, musste die Shoah miterleben; seine Eltern starben in einem deutschen Lager. Als Lyriker hat er sich mit dem Gedicht "Todesfuge" einen Namen gemacht. Zwei Monate verbringen Bachmann und Celan in Wien miteinander. Diese gemeinsame Zeit ist das Fundament für einen mit Unterbrechungen fast zwanzig Jahre währenden Briefwechsel und für eine Liebesbeziehung, die meist aus der Ferne stattfinden wird.
Grundlage für
Die Geträumten ist der Briefwechsel zwischen Bachmann und Celan, wobei Regisseurin Ruth Beckermann gemeinsam mit der Literaturkritikerin Ina Hartwig ein Extrakt für das
Drehbuch herausgefiltert hat, das die verschiedenen Phasen der Beziehung widerspiegelt. Dabei entscheidet sich Beckermann auch filmisch für die Reduktion: Sie lässt das Geschriebene von der österreichischen Musikerin Anja Plaschg und dem Burgtheater-Schauspieler Laurence Rupp in einem Tonstudio vortragen, unterbrochen von Zigarettenpausen, einer Orchesterprobe oder einem Gang zur Kantine. Dabei treten die Darsteller zunehmend in einen Dialog, der über die Briefe hinausgeht, diesen sogar erweitert, denn in verlesener Form wirken sie auf die Sprecher nach. Die historischen Briefe und das Vortragen eben derselben verleihen dem Film etwas Dokumentarisches, das jedoch durch die Art der Inszenierung gebrochen wird und ins Fiktionale verweist. Die Regisseurin versteht ihren Film als Spielfilm.
Im Deutschunterricht kann der formal wie inhaltlich anspruchsvolle Film eine Beschäftigung mit Leben und Arbeit des Literatenpaars ergänzen. Die Briefe tragen dabei auch zum Verständnis des jeweiligen Werks bei und eröffnen neue Interpretationen. So trägt Anja Plaschg im Epilog eine Passage aus dem Bachmann-Roman "Malina" vor. Zudem bietet sich eine Beschäftigung mit der Gattung Brief an. Thema kann dabei sein, wie dieser Briefwechsel, der vor gut 70 Jahren begann, heute auf Heranwachsende wirkt. Wie hat sich die Sprache, die Kommunikation im Vergleich verändert? In Ethik oder Philosophie kann es um die (Un)Möglichkeiten der Liebe gehen. Dabei ist die Frage interessant, warum das Paar trotz aller Schwierigkeiten nie wirklich voneinander loslassen konnte. Im Fach Darstellenden Spiel können die Schüler/-innen selbst historische Briefwechsel im Dialog vortragen und dabei der Wirkung der Inhalte und der gesprochenen Sprache nachspüren.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Kirsten Taylor, 29.08.2016, Vision Kino 2016.
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