Bazarbai will vieles – nur nicht das, was sein Vater sich wünscht. Gemäß der nomadischen Familientradition plant dieser, seinen jüngsten Sohn zum Adlerjäger auszubilden, damit er sich in der mongolischen Steppe zu versorgen lernt. Doch der 12-jährige Bazarbai träumt von der Schule und der weit entfernten Hauptstadt Ulan Bator, in der es so faszinierende Dinge wie Fernsehgeräte gibt. Als ihm eines Tages versehentlich Vaters Jagdadler entwischt, reist Bazarbai kurzentschlossen seinem älteren Bruder in die Stadt hinterher. Schnell merkt er, dass er einen Weggefährten hat: Ob in Begleitung neuer Freunde oder hinterhältiger Betrüger, in der frostigen Wüste oder schließlich in Ulan Bator, treu wacht der Adler über den Jungen.
Mit Bazarbais Aufbruch in ein selbstbestimmtes Dasein, weg von dem traditionellen Nomadenleben, erzählt der dänische Regisseur René Bo Hansen eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, für deren Darstellung er Motive des Roadmovies nutzt. Während seiner langen Wanderung durchquert Bazarbai in vielen
Totalen nicht nur die eindrucksvollen Landschaften der Mongolei, sondern verändert sich auch innerlich und wächst über sich hinaus. Zwar ist Die Stimme des Adlers kein Dokumentarfilm, aber Bazarbais Reise wirkt aufgrund überzeugender Laienschauspieler/innen und realer Schauplätze authentisch: Der Hauptdarsteller Bazarbai Matyei etwa stammt selbst aus einer Adlerjägerfamilie und führt ein ähnliches Leben wie die Filmfigur.
René Bo Hansen gelingt dadurch ein faszinierender Einblick in den Alltag eines Nomadenjungen, der einen persönlichen Konflikt zwischen Familie und Individuum vor dem Hintergrund der universellen Spannung zwischen Tradition und Moderne ausficht. Somit eignet sich
Die Stimme des Adlers zum einen dazu, im Sach- oder Erdkundeunterricht die fremde Kultur mongolischer Nomaden und der Adlerjagd zu veranschaulichen. Zum anderen schildert der Film mit der problematisierenden Darstellung des urbanen Lebensraums einen exemplarischen Stadt-Land-Konflikt, der im Vergleich zu ähnlichen Entwicklungen und Globalisierungseffekten in anderen Staaten untersucht werden kann. Überdies könnten ebenfalls vergleichend die mythologischen Bedeutungen des Adlers erforscht werden, der in vielen Kulturen ein beliebtes Symbol- und Wappentier darstellt.
Autor/in: Marguerite Seidel, 06.05.2009
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