Hintergrund
Ein Sonderfall deutscher Kulturgeschichte: Vom Umgang mit NS-Propagandafilmen
Ein Teil der deutschen Filmgeschichte ist der Öffentlichkeit weit gehend entzogen. Eine Reihe von Filmen aus der Zeit des Nationalsozialismus darf nur "unter Vorbehalt" aufgeführt werden, das heißt: als Diskussionsangebot unter wissenschaftlich-pädagogischer Begleitung. Die Kenntnis über das Phänomen der so genannten "Vorbehaltsfilme" aus dem Dritten Reich ist jedoch nicht weit verbreitet. Was hat es damit auf sich? Welche Streifen fallen in diese Kategorie? Wie sind die Historiker überhaupt mit Filmen aus der Zeit des Nationalsozialismus als Dokumenten der Epoche umgegangen? Nach dem Krieg verboten 1945, nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, untersagten die anglo-amerikanischen Siegermächte zunächst alle Veröffentlichungen von deutscher Seite. Dazu gehörten auch Produktion, Verleih und Vorführung von Filmen. Sämtliche verfügbaren deutschen Filmkopien wurden konfisziert. Doch schon im Herbst ’45 gaben die alliierten Behörden rund 200 unbedenklich erscheinende Filme aus der Zeit nach 1933 frei. Bei 300 Titeln jedoch erfolgte eine Freigabe nur unter Vorbehalt. Um als Reprisen wieder in die Kinos zu kommen, mussten einschlägige nationalsozialistische Szenen oder Symbole durch Schnitte entfernt werden. Eine ganze Reihe von Filmen war jedoch im Kern so braun geprägt, dass sie nicht entschärft werden konnten. Diese Filme – es sind über 40 Titel – darf man bis heute nur zeigen, wenn sie fachlich begleitet und diskutiert werden.
Zunächst kein Thema
Bis 1965 war der Umgang mit dem nationalsozialistischen Kino-Erbe kaum ein Thema in der Bundesrepublik. Gewiss mussten sich viele Filmschaffende, die den Absichten des Propagandaministers Josef Goebbels zugearbeitet hatten, vor Spruchkammern verantworten. Jud Süß-Regisseur Harlan war ebenso darunter wie Leni Riefenstahl, die Gestalterin des Reichsparteitagsfilms Triumph des Willens. Beide wurden erstaunlicher Weise als wenig belastet eingestuft. Die Diskussion um den NS-Film brach erst an, als der Atlas-Filmverleih 1965 Veit Harlans Kolberg, einen von Goebbels in Auftrag gegebenen Durchhaltefilm, wieder in die Kinos brachte. Kolberg hatte im Januar 1945 nur noch in wenigen Kinos und in der französischen Festung La Rochelle Premiere gehabt. 1965 wurde der Film für seine öffentliche Vorführung bearbeitet. Wochenschau-Aufnahmen und andere Dokumente wurden zwischen die Spielszenen montiert, um die inszenierte Handlung in ihrer Absicht zu entlarven. Damit entstand gleichsam ein filmimmanenter Kommentar. Späte Auseinandersetzung In der Folge der Wiederaufführung von Kolberg veranstalteten die Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen im Herbst 1965 ein Arbeitsseminar zum Spielfilm im Dritten Reich. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen schauten sich rund 200 Filmkritiker und Filmhistoriker erstmals 19 Propagandastreifen aus Goebbels‘ Filmfabrik an und diskutierten sie. Darunter waren die Titel Der große König, Jud Süß, Stukas, Wunschkonzert, Bismarck und Ohm Krüger. Es ist kennzeichnend für den deutschen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, dass man auch in der Filmgeschichtsschreibung – wie in der Geschichtswissenschaft überhaupt – erst 20 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs daran ging, den Faschismus näher anzuschauen.
Unkritischer Umgang ...
Propaganda im Gewand des Historienfilms – eine beliebte Methode der Goebbelschen Agitationsmaschine – wurde im Lauf der Zeit immer weniger kritisch gesehen. So kamen Vorbehaltsfilme wie Der große König oder Bismarck wieder in die Kinos, obwohl sie eindeutige Führer-Verklärung betreiben. Sie liefen hauptsächlich in Vorstellungen für Rentner; sonst interessierte sich niemand dafür. Wolfgang Liebeneiers Bismarck mit seiner eindeutig antidemokratischen Tendenz wird inzwischen allerdings unkommentiert im Fernsehen gezeigt. Bei anderen fragwürdigen Streifen wie Rabenalts ... reitet für Deutschland wurden ein paar Tonschnitte gemacht und eine wehende Hakenkreuzfahne entfernt. Schon schien der Film genügend entschärft fürs arglose Publikum. Genau so geschah es mit Harlans Die goldene Stadt, einem rassistischen Werk gegen das "Slawentum".
... und kritische Vorbehalte
Große Feiern des Nationalsozialismus aber wie Hitlerjunge Quex, Hans Westmar oder Triumph des Willens, antisemitische Hetzfilme zur Vorbereitung des Holocaust wie Jud Süß oder Die Rotschilds, Filme, die Feindbilder entwerfen wie Ohm Krüger (gegen die Engländer), Heimkehr (gegen die Polen) oder G.P.U. (gegen die Sowjets) und Hymnen auf den Krieg wie Stukas oder Wunschkonzert dürfen der deutschen Öffentlichkeit weiterhin nicht ohne kritische Kommentierung zugemutet werden – sogar wenn einige dieser Streifen (Triumph des Willens zum Beispiel) im Ausland auf Videokassette zu haben sind. Die Rechte an den Vorbehaltsfilmen sind vom Bundesarchiv an die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung gegeben worden. Dort entscheidet man auf Anfrage, ob der nötige Rahmen für die Aufführung eines NS-Propagandafilms gewährleistet ist. Dann erst gibt man die Kopien frei. Nur bei den Filmen von Leni Riefenstahl ist das anders. Deren Rechte liegen bei der Regisseurin selbst. Da sie in einer kritischen Kommentierung eine Beleidigung ihrer "unpolitischen" Kunst sieht, vergibt sie die Aufführungsgenehmigung meistens gar nicht.
Berechtigte Vorbehalte?
Trotz solcher Einschränkungen läuft Nazi-Propaganda in Kinos und Bildungseinrichtungen. Meistens wird sie mit Gruseln angeschaut und mit Abscheu diskutiert. Gerade Jud Süß wird als Musterbeispiel für eine gezielte antisemitische Emotionalisierung immer wieder mit Schülern bearbeitet. Vor ein paar Jahren fanden viele junge Menschen den Streifen so altmodisch und so plump, dass er ihnen schon wieder harmlos erschien. Das hat sich geändert. Angesichts irrationaler antisemitischer und fremdenfeindlicher Stimmungen in Deutschland betrachten die meisten Schüler Jud Süß wieder mit bedenklichem Stirnrunzeln und äußern Befürchtungen, er könnte immer noch wirken. Ein trauriger Geschichtsverlauf – aber ein Beleg für die Berechtigung der Vorbehalte.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 21.09.2006