Der 2004 mit dem Oscar als bester Dokumentarfilm ausgezeichnete Film von Errol Morris ist wohl auch ein Indiz für die Repolitisierung der amerikanischen Öffentlichkeit, die nicht zuletzt über Filme wieder etwas mehr über die soziale und politische Wirklichkeit ihres Landes erfahren möchte. Gleichzeitig ist die Produktion ein gutes Beispiel dafür, wie man mit entsprechenden ästhetischen Mitteln auf unterhaltsame und nachdenkliche Weise einen spannenden Dokumentarfilm machen kann, der von breiteren Publikumsschichten angenommen wird. Der Filmtitel stammt aus der Militärsprache und bedeutet, dass man in einer kriegerischen Auseinandersetzung die Schachzüge des Gegners nicht immer eindeutig einschätzen kann und das eigene Handeln mehr von Vermutungen und spontanen Aktionen geleitet wird. Welche Auswirkungen das aus amerikanischer Sicht auf die Weltgeschichte des vergangenen halben Jahrhunderts hatte, berichtet so freimütig wie selbstkritisch und etwas selbstgefällig Robert McNamara, der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister unter den Präsidenten Kennedy und Johnson. Als Planer war McNamara im Zweiten Weltkrieg an den amerikanischen Flächenbombardements von Japan beteiligt, die weit über hunderttausend Menschen das Leben kosteten und die er selbst inzwischen als "Kriegsverbrechen" bezeichnet. Bei der von der US-Führung unzureichend eingeschätzten Kubakrise schlitterte die Welt nur denkbar knapp an einer atomaren Katastrophe vorbei und das in McNamaras Rückblick sehr kritisch gesehene Engagement in Vietnam kostete über vier Millionen Menschen das Leben. Was sich unwissenden Betrachtenden leicht als Provokation oder als bis ins Detail geplante Aktion der politisch Mächtigen darstellt, offenbart im historischen Rückblick seine erschreckende und desillusionierende Eigendynamik und die eklatanten Fehleinschätzungen von Politik und Militär. Morris belegt McNamaras Ansichten und Äußerungen durch zahlreiche historische Tonbandprotokolle und Filmaufnahmen. So wirbt der Film um ein differenzierteres Verständnis von Politik, reflektiert McNamaras Lehrsätze über den "richtigen" Umgang mit einem Kriegsgegner, der nicht in die Eskalation führt, und räumt quer durch alle politischen Lager endgültig mit der Illusion auf, dass die Mächtigen wirklich immer wissen, was sie tun.
Autor/in: Holger Twele, 01.09.2004