Der 36-jährige Polizist Marc ist so glücklich wie verzweifelt: Er hat sich leidenschaftlich verliebt – in seinen Kollegen Kay. Er und schwul? Das passt weder zum Selbstbild des wortkargen Muskelpakets noch zu seinem Leben, das bislang einen festen Rahmen hatte: Mit seiner Freundin hat Marc gerade erst in einer süddeutschen Kleinstadt ein Eigenheim bezogen, das erste Kind ist unterwegs und er hat gute Karrierechancen. Und dies alles wird nun durch seine Gefühle für Kay in seinen Grundfesten erschüttert. Innerlich zerrissen, versucht Marc allen Erwartungen gerecht zu werden und niemanden zu verletzten, verliert dabei aber zunehmend die Kontrolle – und das umso mehr, als sein soziales Umfeld mit Unverständnis, Ablehnung und homophoben Anfeindungen reagiert.
Freier Fall erzählt gradlinig und hoch konzentriert eine Entwicklungsgeschichte, wobei das offene Ende des Films unterschiedlich interpretiert werden kann.
Nah- und Großaufnahmen rücken wiederholt die Protagonisten/innen und ihre starke Körperlichkeit in den Mittelpunkt, doch erfährt das Kinopublikum über die Figuren – abgesehen von Marc – nur wenig. Das betrifft vor allem Kay, der ohne starke individuelle Konturen zur attraktiven Projektionsfläche wird. Der Film spielt überwiegend in dunklen und einengend wirkenden Innenräumen, selbst der Wald, in dem Marc und Kay ihr Lauftraining absolvieren und wo sie sich schließlich näher kommen, lässt kein Gefühl von Freiheit verspüren. So gelingt es
Freier Fall, vor allem dank der schauspielerischen Leistung von Hanno Koffler, das Gefühlschaos von Marc, der in persönlichen und gesellschaftlichen Zwängen gefangen ist, einfühlsam zu vermitteln, wodurch die Geschichte lange nachhallt.
Regisseur Stephan Lacant hat seinen Film bewusst in der Provinz und in einem gesellschaftlichen Umfeld angesiedelt, in dem – ähnlich wie beim Militär oder im Profi-Fußball – Schwulsein immer noch ein Tabu ist: der Polizei. Deutlich wird im Film, wie Kollegen/innen, Familie und Bekannte auf Marcs Coming-out reagieren. Daran anschließend können Meinungen und Vorurteile in Bezug auf Homosexualität im Unterricht hinterfragt und diskutiert werden. Dabei ist auch die Frage interessant, ob und inwiefern die sexuelle Orientierung im Berufsleben eine Rolle spielt. Im Vordergrund des Films steht jedoch die Orientierungslosigkeit und Selbstfindung der Hautfigur Marc. So können die Schüler/innen etwa im Ethik-Unterricht überlegen, welche Lösungen Marc in seiner Situation offen stehen und versuchen, sein Handeln und Erleben – etwa durch das Schreiben fiktiver Tagebucheinträge – nachzuvollziehen.
Autor/in: Kirsten Taylor, 23.05.2013
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