Letzte Chance
Eftal in der U-Bahn (Foto: Piffl Medien GmbH)
Für Eftal ist das Boxen ein Problem, nicht die Gewalt, die kennt er nur allzu gut. Er kennt sie von der Straße, aus der Familie, aus dem Gefängnis. Es sind nicht die Schläge selbst, mit denen käme er klar. Er hat selbst oft ausgeteilt und genug eingesteckt. Nein, es ist der Sport, das Boxen, an dem er immer wieder scheitert. Eftal will nicht in den Ring. Aber alle müssen in den Ring bei der
Work and Box Company. In Taufkirchen bei München bekommen straffällige Jugendliche mit gescheiterten Lebensläufen ihre vielleicht letzte Chance. Sie wurden von den Richtern in diese Sozialeinrichtung geschickt, um ihnen doch noch einen Weg zurück in die Mehrheitsgesellschaft zu weisen.
Boxen als Resozialisierungsmaßnahme
2002 gründeten der Unternehmer Rupert Voß und der Familientherapeut Werner Makella die
Work and Box Company, eine berufsbezogene Jugendhilfemaßnahme für gewaltbereite junge Männer. Für die meisten ist die richterlich verordnete Maßnahme die letzte Alternative zu einem Gefängnisaufenthalt. Viele von ihnen stammen aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Fehlende Schulabschlüsse, Arbeitslosigkeit,
Werner Makella und Rupert Voß (Foto: Piffl Medien GmbH)
Drogen, Gewalt und Identitätskonflikte sind an der Tagesordnung. Mit hoher Erfolgsquote resozialisiert die
Work and Box Company solche "Problemfälle", die Andere längst aufgegeben haben. Die jungen Gewalttäter arbeiten im Wald und in Werkstätten, sie werden therapeutisch begleitet, vor allem jedoch boxen sie. Das Training an den Sandsäcken, das Sparring im Boxring konfrontiert sie mit der eigenen Wut, mit ihren Abwehrmechanismen, ihrer Gewalttätigkeit. Und es zeigt den jungen Männern auf, dass ihre Aggression von Regeln eingedämmt und ritualisiert ausgelebt werden kann. Nur Eftal will nicht in den Ring steigen. Lieber, erklärt er in einer Szene, gehe er zurück ins Gefängnis, wo der Film von Gerardo Milsztein begonnen hatte. Die
Handkamera war Eftal bis in die Zelle gefolgt, dann drehte sich der Schlüssel in
Großaufnahme im Schloss. Sein Vater war Profiboxer, und wenn er seinen Sohn geschlagen hat, dann nicht mit der flachen Hand. Deswegen kann Eftal nicht in den Ring.
Dichte Kameraführung
Ein Jahr lang ist Regisseur und Kameramann Gerardo Milsztein für
Friedensschlag fünf Jugendlichen und ihren Betreuern gefolgt. Dabei bleibt er dicht an ihrem Alltag und ihren Erfahrungen: Die
Handkamera folgt ihnen zur Waldarbeit, ans Lagerfeuer am Baggersee, und zum Gericht. Milzstein spricht mit ihren Müttern, denn die Väter sind meist abwesend.
Teilnehmer beim Boxtraining (Foto: Piffl Medien GmbH)
Er begleitet sie beim Kiffen mit den Freunden, beim nächtlichen Abhängen in den Straßen und in die Therapiegespräche. Dort spätestens bricht die Gewalt immer wieder hervor. Selbsterkenntnis und Verweigerung wechseln sich in erstaunlicher Frequenz ab. Dann wieder beobachtet die Kamera durch Fensterscheiben hindurch oder durch Türen. Manchmal hören die Zuschauenden nicht was gesprochen wird, aber sie sehen, wie jemand mit sich und seinen Dämonen ringt. Sie erfahren nicht, warum die Jugendlichen straffällig wurden, aber sie erleben mit, wie sich in den Gesichtern langsam die Erkenntnis Bahn bricht, dass das eigene Leben noch nicht vollständig verpfuscht ist. Das ist oft eindrücklicher als die bisweilen erstaunlich eloquenten und hellsichtigen Selbsterkenntnisse. "Wie ein Pitbull" sei er manchmal, sagt der erste 16-jährige Josef, "richtig aggressiv. Ich will den abschlachten."
Zurück ins Leben
Drehsituation (Foto: Piffl Medien GmbH)
Vor allem jedoch lässt sich
Friedensschlag darauf ein, diesen anstrengenden, Monate dauernden Prozess in all seiner Langwierigkeit, mit all seinen Schmerzen abzubilden. Denn es gibt keine Schlüsselerlebnisse, keine plötzliche Wandlung, keine Wunder – nur noch mehr Gespräche, noch mehr Training am Sandsack. Die Veränderung vollzieht sich in kleinen Schritten, mit denen die Jugendlichen Strukturen lernen, die vielen ihrer Altersgenossen selbstverständlich sind: morgens rechtzeitig aufzustehen, sich um eine Lehrstelle zu bemühen. Am Ende dieser enervierenden und harten Arbeit steht kein neuer Mensch. Denn es gibt kein glückliches Ende, sondern nur Menschen, die ein kleines Stück zurück ins Leben und neue Hoffnung gefunden haben.
Dokumentarfilm als Drama
Diese Entwicklung setzt Milsztein sehr bewusst als Drama ins Bild, das allerdings weniger als Anschauungsunterricht für Sozialpädagogen/innen dienen soll, sondern eher als Plädoyer für ihre Arbeit. Nicht nur der emotionalisierende
Soundtrack aus Popsongs der Kölner Band P:lot sorgt dafür, dass
Friedensschlag Eftal beim Boxtraining (Foto: Piffl Medien GmbH)
mitunter mehr wie ein Spielfilm, als eine
Dokumentation erscheint. Manche Szenen sind so ausdrucksstark, dass sie wie eigens für den Film inszeniert wirken: Wenn die Jugendlichen in ihre verhängnisvollen Verhaltensmuster fallen, wenn sie sich trotzig verweigern wie kleine Kinder oder einer der Jungs vor Wut seinen Kopf gegen Wand schlägt.
Friedensschlag, das ist der einzige Vorwurf, den man diesem engagierten, spannenden und rührenden Film machen kann, bietet alleine eine Innensicht. Kritische Stimmen, wenn es sie denn gibt, welche die Einrichtung von außen beurteilen könnten, kommen nicht zu Wort. Erzählt wird eine weitgehend ungebrochene Erfolgsgeschichte. Denn am Ende wird auch Eftal in den Ring steigen, um sich dort seinen Ängsten zu stellen. Er wird boxen so wie alle anderen, und vielleicht seinen Weg finden. Denn auch für ihn gibt es jetzt wieder Hoffnung.
Autor/in: Thomas Winkler, Journalist mit den Schwerpunktthemen Film, Musik und Sport, 04.02.2010
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