Inhalt
Yehya lebt seit 1990 in Berlin-Neukölln als Sohn palästinensischer Flüchtlinge aus dem Libanon. Mit 15 Jahren fühlt er sich als "Boss von der Sonnenallee", der sich nicht nur beim Gangsterläuferspiel im Kiez unter seinesgleichen zu behaupten weiß. Stolz auf die wachsende Zahl begangener Delikte, erreicht er mit 17 Jahren die vorerst letzte Etappe seiner "Intensivstraftäter"-Karriere, als er nach einem Raubüberfall zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt wird. Im Gefängnis erlebt Yehya auch, was es heißt, Opfer zu sein. Er beginnt, sein Selbst- und Weltbild zu hinterfragen, sich ein Stück weit dem Islam zuzuwenden. Verzweifelt versucht derweil Yehyas Vater, der nach Mekka pilgert und sein zerstörtes Haus in Beirut besucht, seinen anderen Söhnen das Abrutschen in eine ähnlich kriminelle Karriere zu ersparen. Am Ende gelingt es Yehya nur mit Mühe, nach seiner Freilassung nicht abgeschoben zu werden.
Umsetzung
enseits gängiger Featureformen und aufgeregter Debatten begleitet der nichts propagierende Porträtfilm seinen Protagonisten in konzentrischen Bewegungen über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren an Orten außerhalb wie innerhalb des Gefängnisses. Durch teilnehmende Beobachtung und empathische Gesprächsführung gewinnen Kamera und Regisseur Nähe insbesondere zur "charismatischen" Hauptfigur. Die von fließender Montage begleiteten Wechsel zwischen Knast, Familie, Kiez und Nahost schaffen filmisch Multiperspektivität und vermitteln Einblicke in sonst verschlossene Parallelwelten. Auch wenn sich die dokumentarische Methode expliziter Fragen nach den Ursachen der Delinquenz weitgehend enthält und keine bündigen Antworten gibt, fördert sie von den Konflikten und dem Schicksal einer Berliner Emigrantenfamilie Aufschlussreiches zutage.
Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit
Die authentisch wirkende Annäherung an den straffällig gewordenen jugendlichen Protagonisten kann älteren Schülern Zugänge zu einem komplexen Phänomen eröffnen. In der Auseinandersetzung mit einer realitätsnah geschilderten Figur, die kriminelle Energie, Charme, Reflektionsvermögen und Kommunikationsfähigkeit in staunenswerter Weise verbindet, lassen sich Klischees vom "Migrationshintergrund" reflektieren. Im Fachunterricht kann man vom Film ausgelegte Fährten aufgreifen, um gesellschaftliche Hintergründe und individuelle Ursachen im Zusammenhang von Migration, Delinquenz und Familie zu vertiefen. Binnenperspektivisch lassen sich tiefgründige Einblicke in eine Welt gewinnen, um die die Integrationsdebatte hierzulande meist äußerlich kreist. Vergleichend erschließen ließe sich, wie themenverwandte Spielfilme Jugendfiguren zeichnen, etwa am Beispiel der Figur des Erol in Detlev Bucks
Knallhart (Deutschland, 2006).
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Reinhard Middel, 29.01.2012, Vision Kino 2012.