Robert Fabry, ein erfolgreicher Ingenieur, trifft bei einer Geschäftsreise im Foyer seines Hotels auf eine aufreizende Frau – offenbar eine Prostituierte. Als er nach der gemeinsamen Liebesnacht erwacht, ist sie verschwunden; das vereinbarte Honorar hat sie jedoch zurückgelassen. Zu seiner großen Überraschung begegnet er der lasziven Verführerin bereits am nächsten Tag bei einer Geschäftsbesprechung in Person der konservativen Anwältin Dr. Carolin Winter erneut. Als er sie auf ihr gemeinsames Abenteuer anspricht, leugnet diese beharrlich, ihn zu kennen. Robert verliebt sich in diese Frau, die mal verrucht oder seriös, dann wieder hilflos wie ein Kind ist. Eine mögliche Erklärung für ihr verwirrendes Verhalten, das Robert zunehmend fasziniert, findet er in der zutiefst gestörten Beziehung zu ihrem an den Rollstuhl gefesselten Vater. Roberts Gefühle steigern sich zur Obsession. Als er sich in den Kopf setzt, die junge Frau zu heiraten, bahnt sich eine Katastrophe an.
Das Script zu
Ich bin die Andere basiert auf dem Romandebüt des renommierten, 2004 verstorbenen Drehbuchautors Peter Märthesheimer, das die Geschichte einer multiplen Persönlichkeit schildert. Margarethe von Trotta, die zuletzt mit dem historischen Frauendrama
Rosenstraße(2003) international erfolgreich war, setzte die Textvorlage in für sie ungewohnt schriller Handschrift als eigensinnigen Genre-Mix aus Thriller und Psychodrama um. Expressive Bilder und eine trickreiche Story voller unvermittelter Wendungen erzählen vordergründig von seelischen Abgründen und Abhängigkeiten. Vor allem jedoch lotet die inzestuös angehauchte Geschichte um die wechselnden Identitäten einer Frau – Hure, Kind, Karrierefrau – Geschlechterstereotype und -klischees aus. Wie ein Vexierspiel reflektiert die Regisseurin zugleich Motive und Bildkompositionen von Altmeistern wie Alfred Hitchcock, David Lynch oder Brian de Palma: Beispielsweise weckt die wüst geschminkte Carlotta mit ihrer blonden Perücke Assoziationen an den "Killervamp" in
Dressed To Kill (1980). Allerdings mussten, beabsichtigt oder zufällig, psychologische Glaubwürdigkeit und Kohärenz dem überbordenden, wenn auch eleganten filmischen Meta-Diskurs weichen. Eine annähernd ernsthafte Auseinandersetzung mit der Problematik einer multiplen Persönlichkeit leistet der Film trotz des herausragenden Ensembles jedenfalls nicht. Er glänzt hingegen als bravouröses Spiel mit Klischees, Erzählkonventionen und Stilen, das zu spannenden Debatten herausfordern kann, weil es sich geschickt einer eindeutigen Lesart und Interpretation verweigert.
Autor/in: Ula Brunner, 29.09.2006