Joseph Vilsmaier entwickelt sich immer mehr zu einer tragischen Figur im deutschen Filmschaffen. Nach seinem vielversprechenden Regiedebüt
Herbstmilch wagte sich der gelernte Kameramann an die filmische Umsetzung einiger der interessantesten Stoffe unserer jüngsten Geschichte. Aber sowohl mit
Stalingrad, wie auch mit
Comedian Harmonists und zuletzt
Marlene scheiterte er kläglich, weil seine inszenatorischen Visionen einfach nicht Schritt halten können mit den Möglichkeiten, die in den Vorlagen stecken. Auch mit
Leo und Claire wagt er sich wieder an ein brisantes Stück Zeitgeschichte, das Hollywood übrigens schon 1961 in einer Episode des Oscar-prämierten
Das Urteil von Nürnberg aufgriff: Den Rassenschande-Prozess gegen den jüdischen Schuhhändler Leo Katzenberger, der 1942 wegen einer angeblichen Liason mit der arischen Fotografin Irene Scheffler zum Tode verurteilt wird, während seine angebliche "Geliebte" wegen Meineids zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
Irreführender Titel
Die "Schieflage" des Films beginnt schon mit dem Titel: Anders als die zu Grunde liegende Dokumentation von Christiane Kohl ("Der Jude und das Mädchen") suggeriert Vilsmaier mit
Leo und Claire eine ganz andere Gewichtung – die er dann aber nicht einlöst. Denn die (Liebes-)Geschichte zwischen Leo und seiner Ehefrau Claire, die trotz des auch von ihr vermuteten (und von der Inszenierung auch nicht eindeutig ausgeschlossenen) Seitensprungs dann in schweren Zeiten zu ihm hält, läuft eher am Rande der Handlung mit. Im Mittelpunkt stehen die Mieter von Katzenbergers Haus, in dessen Hinterhof Irene ihr Fotoatelier eingerichtet hat. Mit einer tumben Mischung aus Sozial- und Sexualneid beobachten sie Katzenbergers Besuche bei der jungen Fotografin und denunzieren ihn schließlich ohne Not.
Theaterhafte Dramaturgie
Vilsmaier hat diese Sequenzen in einer an die behäbigen TV-Spiele der 50er Jahre erinnernden Studio-Kulisse gedreht, in der er eine illustre Schar bekannter Schauspieler agieren lässt, deren Charaktere das hölzerne Drehbuch aber mit persönlichen Problemen überfrachtet hat und deren Spiel die Regie nicht immer in den Griff bekommt. Genauso ausgestellt wirken die Szenen in Katzenbergers gutbürgerlicher Villa, die geprägt sind von seiner politischen Fehleinschätzung ("So etwas wie die Nazis wird sich in unserem Kulturstaat nicht halten können") und der realistischeren Einstellung seiner Tochter, die mit ihrem Mann nach Palästina emigriert. Unterbrochen wird diese allzu theaterhaft wirkende Auf- und Abtritt-Dramaturgie von den Treffen zwischen Leo und Irene, deren erotische Spannung von Michael Degen und Franziska Petri ohne falsche Töne auf den Punkt gebracht wird und die uns Anteil nehmen lassen an ihrem Schicksal.
Beklemmender Schluss
Nach einigen inszenatorisch geradezu verläpperten Szenen – wie Katzenbergers erfolgreichem Prozess gegen die Verleumdungen des Nazi-Blattes "Der Stürmer" und seine "Bestrafung" durch die Braunhemden – läuft der Film dann wenigstens in der Schlusssequenz zu einer unter die Haut gehenden Dichte auf: Die menschenverachtende und auch das damalige Recht beugende Verhandlungsführung durch Richter Rothaug und den nicht minder vom Judenhass geblendeten Staatsanwalt Markl wirft deutlich die immer noch unbeantwortete Frage nach der Schuld der Justiz im Dritten Reich auf. Denn nach dem Krieg wurden die beiden Juristen schon nach kurzer Zeit begnadigt bzw. sprachen weiter (Un-) Recht im Namen des Volkes. Auch wenn man sich diesen Film 50 Jahre früher (und besser inszeniert) gewünscht hätte – zu spät ist es nie, sich mit der (unbewältigten) Vergangenheit auseinander zu setzen.
Autor/in: Rolf-Ruediger Hamacher, 01.03.2002