Der Wilde Westen um 1870: Der 16-jährige Schotte Jay Cavendish ist seiner großen Liebe Rose bis nach Colorado nachgereist. Seine elfenbeinfarbene Haut und schlaksige Statur lassen seine noble Herkunft erahnen, kurze Rückblenden geben Aufschluss über Jays Vorgeschichte. Doch im amerikanischen Westen wirkt er fehl am Platz. Erst die unfreiwillige Bekanntschaft mit dem Kopfgeldjäger Silas erhöht seine Chancen, die gefährliche Reise unversehrt zu überstehen. Mit jeder Etappe, die das ungleiche Duo übersteht, muss Jay ein Stück seiner naiven Vorstellungen von Amerika, seinem neuen Wegbegleiter und nicht zuletzt seiner großen Liebe Rose hinter sich lassen.
Slow West ist ein moderner Western, der die klassischen Genre-Motive einerseits bedient und zugleich spielerisch dekonstruiert. Vor den unwirklichen Landschafts-Totalen (der Film wurde in Neuseeland gedreht) heben sich die Reisenden wie Fremdkörper ab. Der amerikanische Westen symbolisiert nicht mehr die Sehnsucht nach Freiheit, vielmehr bleibt die Landschaft ein stummer Begleiter. Der junge Jay fällt im rauen Setting besonders heraus. Zart und zaghaft steht er im Widerspruch zu gängigen Vorstellungen von Maskulinität und Heldentum. Auch der Titel verweist auf eine Umkehrung üblicher Genre-Konventionen: Zwar wird die Erzählung von Aktion und Reaktion bestimmt, doch dramatische Höhepunkte wie Verfolgungsjagden oder Schießereien werden immer wieder von absurder Situationskomik unterlaufen.
Slow West bietet sich insbesondere zur Beschäftigung mit dem Western-Genre an. Im Vergleich mit Klassikern wie Der Schwarze Falke oder Rio Bravo lassen sich Merkmale und Themen des Westerns untersuchen und mit zeitgenössischen Entwicklungen vergleichen. Welche Stilmittel von Slow West verweisen auf klassische Western-Sujets, in welchen Szenen bricht er mit diesen? Die Darstellung von Gewalt kann ebenfalls kritisch hinterfragt werden. Welche Vorstellungen von Recht und Moral transportiert der Film? Ein weiteres Thema sind die Geschlechterrollen im Western-Genre. Rose hat nichts mit dem idealisierten Bild Jays gemein, das der Film über weite Strecken von ihr zeichnet. Pragmatisch und emanzipiert, hat sie sich an die raue Umwelt angepasst. Im Unterricht kann auch diskutiert werden, wie stark eigene Idealvorstellungen und Wünsche unser Bild von Freunden und Mitmenschen beeinflussen.
Autor/in: Ruža Renić, 29.07.2015
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
True Grit (Filmbesprechung vom 21.02.2011) The Homesman (Filmbesprechung vom 18.12.2014)
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.