Hintergrund
Technische Voraussetzungen für die inklusive Filmbildung
Inklusive Filmbildung soll die Teilhabe aller an Kinobesuchen, Schulkinoveranstaltungen und dem Einsatz von Filmen im Unterricht ermöglichen. Gerade bei Menschen mit Behinderungen spielen technische Hilfestellungen eine bedeutende Rolle, um Barrieren im Bereich der Filmsichtung und -rezeption abzubauen. Diese müssen sich an den individuellen Behinderungen orientieren. Das bedeutet, dass neben dem Ort der Vorführung sowie den begleitenden Informations- und Kommunikationsmitteln die Präsentation des Filmes selbst auf die Bedürfnisse der Zuschauenden zugeschnitten ist.
Barrierefreiheit bei der Filmsichtung
Als audiovisuelles Medium spricht ein Film sein Publikum mit einer Vielzahl von Ausdrucksformen an, beispielsweise mit Bildern, Tönen oder Bewegungen in Raum und Zeit. Können eine oder mehrere dieser Rezeptionsebenen aufgrund einer Behinderung nur eingeschränkt oder gar nicht wahrgenommen werden, bleibt ein Film meist trotzdem eingeschränkt erfahrbar, weil zum Beispiel der Ton eine Vorstellung vom Bild vermittelt und umgekehrt. Eine barrierefreie Filmvorführung bietet assistive Technologien an, um diesen eingeschränkten Zugang so weit wie möglich aufzuheben.
Hörfilme bei Sehbehinderungen und Blindheit
So kann etwa die Bildebene blinden oder sehbehinderten Menschen durch einen Audiokommentar vor dem inneren Auge sichtbar gemacht werden: Zusätzlich zum Filmton beschreibt die Audiodeskription in Dialogpausen bestimmte Szenen näher. Im Kino kann diese auch als Hörfilm bezeichnete Fassung entweder für alle eingespielt oder von einem/r Sprecher/in live eingesprochen werden. Per Funkkopfhörer lassen sich Audiodeskriptionen auch gezielt von Einzelpersonen abrufen. Noch in der Entwicklung befindet sich der Empfang über Smartphone. Informationen über Hörfilme in Deutschland sind auf den Webseiten der
Deutschen Hörfilm gGmbH und des
Deutschen Hörfilmpreises zu finden.
"Closed Caption" und Untertitelbrille bei Hörschädigungen oder Gehörlosigkeit
Für hörgeschädigte oder gehörlose Zuschauende bieten bereits die im Kino und auf DVD gängigen Originalfassungen mit Untertiteln (OmU) eine Möglichkeit, die auditive Ebene zu erfassen. Um darüber hinaus auch einen Eindruck von Ton und
Filmmusik zu vermitteln, bedarf es allerdings spezieller Untertitel mit zusätzlichen Beschreibungen, sogenannter "Closed Caption". Auf DVD häufiger zu finden, werden sie im Kino oft nur im Rahmen von Sonderveranstaltungen präsentiert (zum Beispiel beim bundesweiten Festival von
Aktion Mensch und zum Teil bei den
SchulKinoWochen und der
Berlinale).
Mit der Untertitel-Brille kommt 2013 ein Produkt auf den Markt, das sich Zuschauende im Kino ausleihen und mit dem sie Untertitel entsprechend ihrer Bedürfnisse auswählen können. Eine Investition für Kinobetreiber/innen, die sich freilich finanziell nur lohnt, wenn vermehrt Filme in barrierefreier Fassung vorliegen und ein attraktives Programm gestaltet werden kann.
In einigen Kinos können Hörgeräteträger/innen auf Induktionsschleifen zugreifen. Der Filmton wird direkt ans Hörgerät gesendet und somit ohne störende Nebengeräusche empfangen. Eine Liste induktiver Höranlagen unter anderem in Kinos bietet der
Deutsche Schwerhörigenbund e.V..
Unterstützung bei Lernschwierigkeiten und kognitiven Behinderungen
Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten und kognitiven Behinderungen benötigen Hilfestellungen, wenn Filme eine komplizierte Sprache verwenden. Noch kaum angewandte Möglichkeiten bieten vereinfachte Untertitel oder eine Voice-Over-Synchronisation in "leichter Sprache", die zwar mitunter einen erheblichen Eingriff in das Originalwerk bedeuten, jedoch das Verständnis fördern.
Planung einer inklusiven Filmsichtung mit Schülern/innen
Obgleich es eine Reihe von assistiven Technologien gibt, die Menschen mit Behinderungen eine barrierefreie Filmsichtung ermöglichen, und überdies die Digitalisierung deren Einbindung erheblich erleichtert, ist das Angebot klein. Für inklusive Filmbildungsarbeit muss außerdem nicht nur die Sichtung selbst, sondern auch die pädagogische Begleitung barrierefrei gestaltet werden. Das heißt, dass für Gespräche ein/e Gebärden- oder Schriftdolmetscher/in zur Verfügung steht oder dass Textmaterialien auch in Blindenschrift oder in leichter Sprache vorliegen.
Für Lehrende besteht die Herausforderung zunächst darin, sich über die wenigen existierenden barrierefreien Veranstaltungen zu informieren bzw. diese im örtlichen Kino anzuregen, oder in der Schule selbst eine Sichtung von DVDs zu organisieren. kinofenster.de meldet auf der Startseite regelmäßig Filmveranstaltungen unter anderem mit inklusiven Bildungsangeboten und hält eine
Übersicht der Medienzentren in Deutschland bereit, die DVDs für nichtgewerbliche öffentliche Vorführungen zum Teil mit Audiodeskription und Untertitel für Hörgeschädigte verleihen.
Durch Barrierefreiheit die inklusive Filmpädagogik fördern
Wie lassen sich indes die Teilnahmemöglichkeiten von Schülern/innen mit Behinderungen verbessern? Zum einen durch die signifikante Steigerung des barrierefreien Film- bzw. DVD-Angebots, um die Vielfalt und den Anreiz für Kinobetreiber/innen und Publikum zu erhöhen. Im Zuge der Novellierung des Filmförderungsgesetzes 2013 ist ein erster Schritt geplant: Bereits ab dem 1. Mai 2013 müssen durch die Filmförderungsanstalt (FFA) oder den Deutschen Filmförderfonds (DFFF) unterstütze Filme wenigstens eine barrierefreie Kinofassung herstellen. Zum anderen bedürfen Kinos in Hinblick auf technische Ausrüstung und bauliche Anpassungen (beispielsweise Zugang und Plätze für Rollstuhlfahrer/innen) sowie Forschung und Projekte in der inklusiven Filmpädagogik einer nachhaltigen Unterstützung, um Standards und feste Angebote zu entwickeln. Im
inklusiven pädagogischen Begleitheft zum Film
Vorstadtkrokodile (Deutschland 2009, Christian Ditter) beispielsweise - einem Pilotprojekt der Initiative Film+Schule NRW - finden Lehrende Anregungen, die es erleichtern, selbst aktiv zu werden.
Autor/in: Marguerite Seidel, Autorin mit Schwerpunkt Film, 20.02.2013
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.