Beim Flanieren durchs Arme-Leute-Viertel findet Charlie, der Vagabund, zwischen Mülltonnen und Unrat einen Säugling. Erst will er den kleinen Schreihals schnell wieder loswerden. Doch schließlich nimmt er das süße Baby mit zu sich. Fünf Jahre später ist der Findling unter Charlies liebevoller Obhut zu einem pfiffigen Jungen herangewachsen, der nicht nur im Haushalt mithilft, sondern auch beim Ergaunern des bescheidenen Auskommens: Zu zweit ziehen sie durch die Straßen, und wenn die Luft rein ist, schmeißt der Kleine Fenster ein, die der Große anschließend gegen Bares wieder repariert. Das Duo droht jedoch jäh auseinander gerissen zu werden, als der Junge eines Tages erkrankt. Der herbeigerufene Arzt stellt fest, dass Charlie nicht der rechtmäßige Vater ist und benachrichtigt die Behörden. Und so stehen schon wenig später die Mitarbeiter des Waisenhauses vor der Tür, um das Kind mitzunehmen.
Als Charlie Chaplin
Der Vagabund und das Kind drehte, waren er und seine Filmfigur, der schmächtige "Tramp" mit dem kleinen Schnurrbart, dem
zerlumpten Dandy-Outfit und dem markanten Watschelgang, bereits nahezu weltweit berühmt. Der erste abendfüllende
Stummfilm des gebürtigen Briten verlieh seinem bis dato eher ruppig-aggressiv auftretenden Helden dann seine definitive Gestalt, indem er dessen sentimentale Seite zum Vorschein brachte – schon der einleitende Titel "Ein Film mit einem Lächeln – und vielleicht einer Träne" verweist darauf. Ebenso ungewöhnlich für eine
Slapstick-
Komödie war seinerzeit der enorme Produktionsaufwand, der sich auch in einer im Vergleich zu Chaplins kurzen Grotesken weniger bühnenhaften Bildästhetik und einer geschmeidigeren
Montage niederschlägt. Gleichwohl konzentriert sich die
Inszenierung ganz auf die Pantomime der beiden Hauptdarsteller. Seine emotionale Wirkung verdankt der Film dabei nicht zuletzt auch dem überzeugenden Spiel des zu Beginn der Dreharbeiten erst fünfjährigen Jackie Coogan, der als "das Kind" eine jüngere Version des Tramps verkörpert – eine Figur, in die Chaplin, der unter ärmlichen Verhältnissen in London aufgewachsen war, eigene Kindheitserfahrungen einfließen ließ.
Wie Chaplins späteren Stummfilmklassiker
Goldrausch (
The Gold Rush, 1925) oder
Moderne Zeiten (
Modern Times, 1936) zeichnet sich auch
Der Vagabund und das Kind durch eine universelle Verständlichkeit aus: In seinem grotesken Witz und seiner existenziellen Dramatik ist der Film auch heutigen Kindern problemlos zugänglich. Da er nur wenige Zwischentitel enthält, eignet er sich bereits für junge Schüler/-innen. So können an der Grundschule im Unterricht die sozialen Probleme, die der Film darstellt, besprochen werden – beispielsweise die Notlage der Mutter, die ihr Kind aussetzt. Auch bietet es sich an, die Beziehung zwischen dem Vagabunden und dem Jungen zu untersuchen: Wie ist das Zusammenleben der beiden charakterisiert? Ist Charlie ein guter Vater? Die Rolle des Staates ist ebenfalls interessant: Wie tritt die Polizei auf, wie das Jugendamt? Welches Bild von der Gesellschaft wird gezeichnet? Die Komödie liefert darüber hinaus gutes Anschauungsmaterial für pantomimische Übungen: Szenen wie Charlies Flirt mit der Frau des Polizisten können nachgespielt und variiert werden. Für ältere Jahrgänge bietet sich der Film als möglicher Einstieg in die Beschäftigung mit dem Stummfilm an. So lohnt es sich, die Mechanismen der Chaplinschen Komik zu untersuchen, die Traditionen der viktorianischen Musical Hall mit spezifisch filmischen Aspekten verbindet.
Arbeitsblatt zum Film Der Vagabund und das Kind
Fächer: Deutsch, Sachkunde ab Klasse 1, ab 6 Jahren
Vor der Filmsichtung:
a) Kennt ihr bereits
Charlie Chaplin?
b) Habt ihr schon einmal Filme mit Charlie Chaplin gesehen? Falls ja, welche? Nennt Eigenschaftswörter (Adjektive), die diese Filme am besten beschreiben. Nutzt gegebenenfalls den Wortspeicher.
Wortspeicher:
spannend
traurig
lustig
c) Charlie Chaplin begann seine Filmkarriere 1914. Zu der Zeit wurden
Stummfilme gedreht. Erklärt den Begriff Stummfilm.
d) Eine wiederkehrende Rolle, die Charlie Chaplin verkörperte, war der Vagabund. Was bedeutet der Begriff?
e) 1921 spielte er die Hauptrolle im Stummfilm
Der Vagabund das Kind. Chaplin schrieb auch das
Drehbuch und führte Regie. Das heißt, er sagte beispielsweise den Schauspieler/-innen, welche Gesichtsausdrücke (Mimik) und Körpersprache (Gestik) sie verwenden sollten. Seht euch den Beginn des Films an und fasst anschließend die Handlung zusammen.
TC 00:00:00-00:03:25
Hinweis: Der Timecode bezieht sich auf die 51-minütige VoD-Fassung auf AmazonPrime.
f) Warum hat die Mutter ihr Baby eurer Meinung nach im Auto abgelegt?
g) Seht nun die folgende
Sequenz an. Beantwortet folgende Fragen:
• Was passiert mit dem Auto und dem Baby?
• Was könnte der Vagabund denken, als er das Baby findet?
TC 00:03:25-00:07:57
h) Seht euch noch einmal die Szenen an, die zeigen, wie der Vagabund versucht, das Baby wieder abzugeben. Erklärt, wie hier Komik entsteht.
TC 00:05:09-00:07:57
Während der Filmsichtung:
i) Achtet darauf, wie das Kind beim Vagabunden aufwächst. Beschreibt, wo die beiden wohnen und wovon sie leben. Wie ist das Verhältnis der beiden?
Nach der Filmsichtung:
j) Tauscht euch darüber aus, was euch besonders überrascht und/oder berührt hat. Vergleicht dann eure Ergebnisse aus Aufgabe i).
k) Erklärt, wie die Mutter erkannt hat, dass John ihr leibliches Kind ist.
l) Seht euch noch einmal den Wortspeicher aus Aufgabe b) an. Welche Passagen des Films fandet ihr besonders lustig, welche traurig und welche spannend? Welche Szenen passen zu den anderen, von euch gesammelten Eigenschaftswörtern (Adjektiven)? Tauscht euch mit einer Partnerin/einem Partner aus.
m) Seht euch noch einmal die Schlusssequenz an, als der Vagabund unsanft aus seinen Träumen gerissen und zum Haus der Mutter gefahren wird. Wie fühlen sich der Vagabund, die Opernsängerin und John beim Wiedersehen? Achtet auf die Mimik (Gesichtsausdrücke) und die Gestik (Körpersprache).
TC 00:49:26-00:50:27
n) Wie könnte die Geschichte weitergehen, nachdem die Tür ins Schloss gefallen ist? Überlegt euch in Kleingruppen eine Fortsetzung der Handlung.
Optional: Ihr könnt diese auch spielen. Verzichtet dabei auf Sprache und arbeitet allein mit Mimik und Gestik.
Autor/in: Jörn Hetebrügge (Besprechung), Ronald Ehlert-Klein (Arbeitsblatt), 08.01.2021
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