Hintergrund
Kommunikative Verträge in Sequels
Welche stillschweigenden Vereinbarungen existieren zwischen Filmproduzenten/innen und Zuschauenden über die "Regeln" eines Films? Wie in schriftlichen oder sprachlichen Texten geht es auch beim Kino um Kommunikation. Gerade Sequels bauen auf den Erwartungshaltungen eines Publikums auf und machen vorhersehbare Muster zum Prinzip. Die Filme geben einen dramaturgischen Rahmen vor, einen Spielraum, innerhalb dessen durch formale Gestaltungskriterien eine gewisse Erwartungshaltung aufgebaut wird. Der Prozess der Verständigung zwischen Film und Zuschauenden, in dem die Bedeutung des Films kontinuierlich ausgehandelt wird, wird in der Filmtheorie auch als "kommunikativer Vertrag" bezeichnet.
Eine stillschweigende Vereinbarung
Insbesondere Genres spielen für diese metaphorischen Verträge eine Rolle und sind in den Worten des italienischen Filmwissenschaftlers Francesco Casetti "Instrumente der Verständigung" für eine Übereinkunft zwischen Film und Publikum. Schon Trailer setzen beispielsweise darauf, durch den richtigen Tonfall und die passende Atmosphäre ein Gefühl dafür zu vermitteln, was von dem beworbenen Film zu erwarten ist. Genres funktionieren nach bestimmten gestalterischen oder dramaturgischen Regeln und Mustern und schaffen so eine bestimmte Vorhersehbarkeit. Stillschweigend vereinbaren sie mit dem Publikum, welche Art von Geschichte erzählt wird und welche Wendungen glaubhaft sind. Darin sind sie Fortsetzungsfilmen ähnlich und unter diesen Aspekten wird die Theorie des kommunikativen Vertrags auch für die Betrachtung von Sequels interessant.
Das Versprechen einer vertrauten Welt
Im Falle der Fortsetzungsfilme kommt dem ersten Teil eine besondere Bedeutung zu. Dieser etabliert nicht nur die Welt, in der das Geschehen stattfindet, sondern legt auch die Grundlage für die Charaktereigenschaften der Protagonisten/innen und somit für deren Entwicklungsmöglichkeiten; er gibt die Regeln vor, indem er Grundkonflikte und Lösungsmöglichkeiten offeriert und den ästhetischen Stil bestimmt. Fortsetzungen basieren immer auf dem Erfolg oder der Anerkennung des Erstlings und setzen darauf, dessen Zuschauende wieder zu gewinnen. Dazu müssen sie ihnen das Versprechen geben, in eine Welt einzutauchen, die sie bereits kennen. Dies kann sich auf eine fortlaufende Handlung mit identischen Protagonisten/innen beziehen wie in der Harry Potter-Reihe oder auf eine ähnliche Ausgangssituation mit einer vergleichbaren narrativen Struktur wie in Hostel, auf ähnliche Handlungsverläufe wie in den Stirb langsam-Filmen oder einen bereits etablierten Tonfall oder Stil wie in der Matrix-Trilogie. Die Vorhersehbarkeit spielt dabei eine große Rolle und trägt zu dem Vergnügen an den Filmen bei. Gerade die so genannten running gags, die immer wiederkehrenden Witze oder Motive in mehreren Teilen einer Serie, funktionieren nur, weil sie auf dem Vorwissen des Publikums aufbauen.
Die Frage der Variation
Dennoch stehen Sequels vor dem Problem, eine gewisse Struktur beizubehalten und zu variieren, um die Spannung aufrechtzuerhalten. Zugleich aber sollten sie ihre eigenen gesetzten Regeln nicht revidieren und damit in diesem Sinne einen "Vertragsbruch" riskieren. Nach der Produktion der drei Prequels seiner Star Wars-Serie ersetzte George Lucas für die digital überarbeitete Fassung der Trilogie (Krieg der Sterne, Das Imperium schlägt zurück, Die Rückkehr der Jedi-Ritter) tragende Darsteller/innen und veränderte einzelne Szenen. Erst nach Protesten wurde auch die unveränderte Originalfassung wieder veröffentlicht.
Erfüllt der Film aber die Erwartungen des Publikums, kann sich die Sequel-Spirale weiterdrehen. Fortsetzung folgt. Auch das ist ein kommunikativer Vertrag.
Literatur und Links
Casetti, Francesco: Filmgenres, Verständigungsvorgänge und kommunikativer Vertrag, in: montage/av, Heft 2/2001, 10. Jg., S. 155-173
Download des Textes:
www.montage-av.de
Wierth-Heining, Mathias: Vor, während und nach der Rezeption.
Empirische Rezeptionen und kommunikative Kontrakte, in: montage/av, Heft 2/2002, 11. Jg., S. 147-158
Download des Textes:
www.montage-av.de
Wulff, Hans J.: Konstellationen, Kontrakte und Vertrauen. Pragmatische Grundlagen der Dramaturgie, in: montage/av, Heft 2/2001, 10. Jg., S. 131-154
Download des Textes:
www.montage-av.de
Autor/in: Stefan Stiletto, 10.07.2007
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