Interview
"Ich wollte die Natur so unberührt wie möglich zeigen!"
Regisseur Nicolas Vanier über seinen Film Belle & Sebastian und die Bedeutung der Natur für die Geschichte und den Menschen im Allgemeinen.
Nicolas Vanier und sein Hauptdarsteller Félix Bossuet
Der französische Regisseur Nicolas Vanier, 1962 in Senegal geboren, ist ein echter Abenteurer und Geschichtenerzähler. Als 20-Jähriger hat er zu Fuß Lappland durchquert, weitere Abenteuerreisen durch Kanada, die Rocky Mountains und Sibirien zu Fuß, auf dem Pferd oder mit Schlittenhunden folgten. Mit seinem halbdokumentarischen Abenteuerfilm
Der letzte Trapper (Le Dernier Trappeur, Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, Schweiz 2004) machte er sich als Filmemacher einen Namen. Vanier lebt in Frankreich und setzt sich für den Schutz der Natur ein.
Belle & Sebastian (Belle et Sébastien, Frankreich 2013) ist seine sechste Regiearbeit.
Herr Vanier, warum haben Sie die bekannte französische Fernsehserie Belle und Sebastian fürs Kino adaptiert?
Als kleiner Junge konnte ich es nie erwarten, dass wieder Sonntagabend ist und eine neue Folge von Belle und Sebastian ausgestrahlt wird. Jetzt, knapp fünfzig Jahre später, will ich den Kindern von heute das gleiche Gefühl vermitteln. Sie sollen genauso in den Genuss der Geschichten kommen wie meine Generation. Die Freundschaft zwischen Mensch und Hund ist schließlich zeitlos.
Was hat Sie persönlich am Film gereizt?
Meine Motivation hinter dem Film ist ganz einfach: Ich liebe die Berge, ich liebe Hunde, ich liebe Kinder und ich liebe das Kino. Hier konnte ich alle meine Leidenschaften miteinander verbinden.
Warum haben Sie die Geschichte von den 1960ern ins Jahr 1943 verlagert?
Zum einen wollte ich die Natur so unberührt wie möglich zeigen, in ihrer ganzen Farbenvielfalt und Pracht. Die Berge haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Außerdem war es mir wichtig zurück in die Vergangenheit zu kehren, weil Belle & Sebastian ja etwas aus der Vergangenheit ist. Wir hatten damit zudem die Möglichkeit, eine positive Geschichte aus dem Krieg zu erzählen. Eine Geschichte, in der einfache Menschen versuchen, Leben zu retten und Verfolgte über die Grenze zu schmuggeln. Der Film ist für mich ein Dankeschön an all jene, die damals ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um Gutes zu tun. Denn heute erinnert sich kaum noch jemand an diese Menschen. Sie leben in den Bergen und sind vom Volk vergessen worden.
Beruhen die Fluchtgeschichten denn auf wahren Begebenheiten?
Natürlich ist die Geschichte an sich fiktiv. Aber ich kenne viele alte Leute in den Bergen, die noch immer über diese Epoche reden. Wir bekommen hier nur einen kleinen Einblick in das, was während des Zweiten Weltkriegs alles in den Bergen geschehen ist. Ich hatte keine exakte Vorlage, sondern habe alles aus meinen eigenen Erinnerungen aufgeschrieben, die ich aus Gesprächen mit der Dorfbevölkerung in der Region geführt habe.
Die Natur spielt im Film – neben dem Hund Belle und dem Jungen Sebastian – eine große Rolle. Was bedeutet Ihnen die Natur?
Die Berge sind für mich ein ganz eigener Charakter im Film, allein schon durch die vier Jahreszeiten. Die Kontraste und unterschiedlichen Atmosphären sind ein wichtiger Bestandteil der Geschichte. Die Berge haben zu jeder Jahreszeit ein ganz eigenes Gesicht. Ich wollte alle Facetten zeigen. Die wilden Tiere, die Lebensbedingungen – einfach alles. Die meisten Leute kennen die Berge heute doch nur noch von der Aussicht im Ski-Lift. Aber ein richtiges Gefühl für die Berge hat heute kaum noch einer.
Wie schwierig waren die Dreharbeiten in den Bergen?
Meine Motivation war es, die Berge so zu filmen, dass sich von meiner eigenen Faszination für die Natur etwas auf das Publikum überträgt. Wir mussten viel warten und wandern, sogar klettern. Aber wenn ich mir den Film jetzt ansehe, hat sich das alles gelohnt. Wenn man etwas nicht liebt, wird man nie zum Wesentlichen vordringen.
Es gibt beim Filmemachen das Sprichwort "Drehe niemals mit Tieren und Kindern". Sie haben sich weder an das eine noch an das andere gehalten und mit beiden gearbeitet. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Ich habe nie in Erwägung gezogen, dass es schwierig werden könnte. Man muss einfach viel Geduld mitbringen und ein gewisses Verständnis für Hunde und siebenjährige Jungen. Manchmal mussten wir eben warten und uns damit arrangieren, dass der Hund jetzt eben nicht genauso wollte wie wir. Man darf sich von der Natur nie aus der Fassung bringen lassen.
Der Hauptdarsteller des Sebastian, Félix Bossuet, stand zum ersten Mal vor einer Kamera. Wie haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?
Er war am ersten Drehtag wohl genauso aufgeregt wie ich. Wir haben versucht, möglichst wenig an den fertigen Film und stattdessen von einem Tag zum anderen zu denken. Er musste mir versprechen Bescheid zu sagen, wenn er müde war oder keine Lust mehr hatte.
Und die Arbeit mit dem Hund?
Wir hatten einen Haupt-Hund. Die anderen zwei sind nur eingesprungen, wenn der erste zu müde war. Unser Tiertrainer Andrew Simpson hat große Sorgfalt in die Auswahl der Tiere vor der Kamera gesteckt. Wir haben einen Monat vor Beginn der Dreharbeiten angefangen, mit Felix und dem Hund zusammenzuarbeiten. Sie sollten Zeit haben sich kennenzulernen und Freunde zu werden. Genau wie im Film hat das super funktioniert.
Wie viel können Sie als Regisseur überhaupt beeinflussen und wie viel müssen Sie einfach laufen lassen?
Es war immer eine Gratwanderung. Aber genau diese Unberechenbarkeit liegt mir. Natürlich haben wir eine Geschichte, die wir erzählen wollen. Aber die Tiere und die Natur machen einem manchmal einfach einen Strich durch die Rechnung. Das Wetter war oft gegen uns. Manchmal aber hat es uns die schönsten Geschenke gemacht. Diese Momente mit dem perfekten Licht muss man dann einfach einfangen. Da werden dann auch mal spontan Drehpläne über den Haufen geworfen.
Was ist für Sie die Botschaft des Films?
Die Leute sollen wieder ein Gespür für die Berge und ihre unglaublich schöne und vielfältige Natur bekommen. Sie sollen wieder verstehen, wie wichtig die Natur für uns und unser Gleichgewicht ist. Vieles läuft gerade aus dem Ruder. Wir müssen nachhaltiger mit der Natur umgehen. In ein paar Jahrzehnten schon wird ein Film wie unserer nicht mehr möglich sein, einfach weil die unberührte Natur von Menschenhand zerstört wurde. Ich predige immer für mehr Respekt gegenüber der Natur. Der Film gibt ein Bewusstsein für die Klimaerwärmung, für Tiere und die Natur im Gesamten. Ich hoffe, der Film inspiriert die Leute und gibt ihnen Gesprächsstoff, die Natur wieder respektieren zu lernen.
Autor/in: Anna Wollner, freie Filmjournalistin in Berlin, 11.12.2013
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.