Hintergrund
Der israelische Film der Gegenwart
Auf der Berlinale 2003 war der israelische Film mit insgesamt neun Beiträgen vertreten, eine Rekordzahl. Für Katriel Schory, Direktor des Israel Film Fund (der israelischen Filmförderung) findet er "nach Jahren des Rückzugs auf die innere Befindlichkeit" wieder zu gesellschaftlichen Themen zurück. Der Aufschwung liegt nicht zuletzt in einer Steigerung der Fördermittel. Im Jahre 1996 strich die Regierung 50 % der Förderung, inzwischen existiert auf Druck der Kulturschaffenden ein Filmförderungsgesetz und es stehen pro Jahr ca. 10 Mio. US-Dollar zur Verfügung. Ein unabhängiges Gremium entscheidet über die Vergabe der aus der Lizenzabgabe der kommerziellen Rundfunkanbieter stammenden Mittel.
Israelische Filmstatistik
Seit 1979 beteiligte sich der Israel Film Fund an der Finanzierung von mehr als 160 langen Spielfilmen. Von den jährlich etwa 100 eingereichten Drehbüchern erhalten zwischen 12 und 14 eine Produktionsförderung von bis zu zwei Dritteln des Budgets. Im gleichen Zeitraum unterstützt der Film Fund die Entwicklung von ungefähr 25 Drehbüchern. Das durchschnittliche Budget bei Spielfilmen liegt zwischen 450.000 und 750.000 US-Dollar. Daneben produziert das Kabelfernsehen bis zu zwölf Spielfilme jährlich, einige davon auch mit Kinopotenzial.
Broken Wings
Aufbruchstimmung
Die jungen Regisseure wollen raus aus den Nischen und mit universellen Sujets ein großes Publikum erreichen, auf internationalen Festivals präsent sein. Während sich die Filmemacher/innen der dritten Generation im Spielfilm auf vordergründig wenig politische Alltagsthemen konzentrieren – auch Ausdruck eines Wunsches nach Normalität in schwierigen Zeiten – befassen sich die meisten der rund 100 Dokumentarfilme mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt, der in irgendeiner Form das Leben eines jeden tangiert. Lia von Leer, Leiterin des Jerusalem Filmfestival, plädiert dafür, auch im Kinospielfilm stärker Position zu beziehen.
Local Angel
Die Familie als Spiegel der Gesellschaft
Broken Wings zählte zu den beliebtesten Filmen des Jahres 2002. Nach dem mehr zufälligen Tod des Vaters durch eine allergische Reaktion auf einen Bienenstich bricht eine Mittelstandsfamilie fast auseinander. Regisseur Nir Bergman trifft mit seiner Betrachtung über die Brüchigkeit gewachsener Familienstrukturen ins Schwarze, nicht nur im eigenen Land. Das Familiendrama wurde mit dem Publikumspreis der Panorama-Sektion ausgezeichnet. Und wenn sich der Satz "Es könnte schlimmer sein" wie ein roter Faden durch die Handlung zieht, sollte das auch als verhalten politisches Statement gelten.
Local Angel
Individuelle Zwiespältigkeit im Nahost-Konflikt
Für Furore sorgte Local Angel des in New York lebenden, gebürtigen Israeli Udi Aloni. Sein Film fand bisher leider keinen deutschen Verleih, wurde aber vom WDR und von Arte gekauft. Der Film beginnt mit einem Blick aus der Ferne auf die politische Situation in der Heimat, um dann im Land selbst nach den vielfältigen Ursachen des Konfliktes zu suchen. Sein Filmessay, das im Untertitel "Theological Political Fragments" Walter Benjamin zitiert, verknüpft in einer assoziativen Montage surrealistische Momente mit Poesie, Musik und Bildern von großer Schönheit und gleichzeitiger Grausamkeit. Zwei Szenen zeigen die individuelle Zwiespältigkeit gegenüber dem heiklen und brisanten Themenkomplex: ein Gespräch mit seiner Mutter, Mitgründerin der israelischen Bürgerrechtsbewegung, die als Friedensaktivistin dennoch das Rückkehrrecht aller Flüchtlinge ablehnt, und mit PLO-Chef Yassir Arafat. Aloni entschuldigt sich bei ihm für die Aktionen der israelischen Regierung und bittet um Verzeihung – ein umstrittener Auftritt, der bei vielen seiner Landsleute auf Unverständnis stieß, nicht nur wegen Alonis offensichtlicher Naivität. Problematisiert wird auch der Riss in der israelischen Gesellschaft zwischen säkularisierten und orthodoxen Israelis, Rechten und Linken. Aloni provoziert und polarisiert, zeigt aber auch ein Fünkchen Hoffnung, wenn palästinensische ("Who is a terrorist") und israelische Musiker die Sprachlosigkeit überwinden.
Filmische Zukunftsperspektiven
Der israelische Film der Gegenwart beeindruckt durch Vielfältigkeit, vom liebevollen Kinderfilm wie Omri Levis
Miss Entebbe bis zu Eytan Fox'
Yossi & Jagger, der eindringlichen Geschichte zweier Homosexueller, die ihre Liebe in der israelischen Armee verbergen müssen. Das "Filmland" Israel weckt auch außerhalb der Grenzen Interesse. Koproduktionsabkommen mit Belgien, Frankreich, Italien, Schweden, Polen, Kanada und Deutschland sollen eine Erweiterung des Spektrums und eine größere Anzahl von Filmen ermöglichen. Ein Abkommen über Stoffentwicklung, Verleih und Verkauf wurde erst kürzlich mit der Filmstiftung NRW abgeschlossen.
Autor/in: Margret Köhler, 21.09.2006