Hintergrund
Edle Wilde und das Gesetz der Grenze Das Bild der Kurden im türkischen Film
1920 drehte Muhsin Ertugrul den Film Die Teufelsanbeter nach Karl May's Roman "Durchs wilde Kurdistan". Im deutschen Programmzettel hieß es damals: "In diesen von finsteren Tannen beschatteten Bergen herrschen Rache und Hass und steter Kampf zwischen den zahllosen Rassen und Sekten." Klischees fanden somit schon früh Einzug in die türkische Filmgeschichte. Erst in den 1960er Jahren entstanden Filme nach Romanen mit realistischem Hintergrund von Schriftstellern mit kurdischer Herkunft wie Yasar Kemal. Deren Helden sind tapfer, aber auch naiv und opportunistisch, kämpfen gegen die Feudalherren, geraten mit dem Gesetz in Konflikt und werden am Ende von der Jandarma (Polizei) erschossen. Meistens sind Frauen die Opfer der Feudal-"Herren", aber auch diejenigen, die versuchen, aus dem festgefügten Gesellschaftssystem auszubrechen.
Sürü - Die Herde
Wider die Feudalherrschaft
Ein typischer Vertreter ist Lütfü Ö. Akads Gesetz der Grenze (1967). Der bekannte Schauspieler und spätere Regisseur Yilmaz Güney spielt darin einen Schmuggler, der gegen die Großgrundbesitzer und Hodschas für eine Schule im Dorf kämpft, aber wegen seiner Schmuggelei mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Die Feinde in derartigen Filmen sind nicht der türkische Staat oder die Armee, sondern Feudalherren und deren Lakaien. Das Militär und die Justiz tun nur ihre Pflicht. Kurdische Kultur, vor allem Lieder und Sagen, werden zwar reichlich genutzt, allerdings nur in Türkisch, denn die Sprache Kurdisch war verboten. Das kurdische Unabhängigkeitsstreben ist noch kein Thema.
Exemplarische gesellschaftliche Konflikte
Yilmaz Güney, der sich selbst als assimilierten Kurden bezeichnete und im türkischen Kino als Darsteller anfing, setzte ab 1969 in eigenen Filmen zunächst die Tradition des "Rächers der Unterdrückten" fort. Beeinflusst von seiner sozialistischen Weltanschauung drehte er eine Reihe von Filmen, in denen die Probleme der Kurden unter dem Aspekt exemplarischer gesellschaftlicher Konflikte beobachtet werden: Sürü - Die Herde (1978) schildert die Welt der Nomaden und ihren Konflikt mit der Großstadt, Yol – Der Weg (1981) erzählt die Geschichte des Freiganges mehrerer Häftlinge in einem Land, das mit seinen Traditionen und seiner Moral eine Art offenes Gefängnis geworden ist.
Reise zur Sonne
Der "Istanbuler Blick"
Die türkische Filmindustrie saß immer in Istanbul und der "Istanbuler Blick" bestimmte auch die Sicht auf die Kurden, zumal die Regisseure meistens Türken sind. Erden Kiral beispielsweise verfilmte 1981 mit Eine Saison in Hakkari die Geschichte eines Lehrers in einem kurdischen Dorf. Die Darsteller waren Theaterschauspieler aus Ankara und Istanbul, der Film wurde in Türkisch gedreht. Die Schwierigkeiten, den Kindern in der Grundschule Lesen und Schreiben beizubringen, rühren in der Gegend von Hakkari daher, dass die Kinder eine völlig andere Sprache sprechen, als der Schulstoff vorgibt. Im Film wurde das nicht eingehend thematisiert, versteht sich aber für ein türkisches Publikum von selbst. Die Qualität dieses Filmes liegt in der quasi dokumentarischen Annäherung an einen Lehrer, der bereit ist, von fremden Menschen etwas zu lernen.
"Dokumentarische" Fiktionen zum Ende des 20. Jahrhunderts
Die vorsichtige Annäherung zweier Völker bleibt bis in die Gegenwart ein Charakteristikum vieler Filme über Kurden in der Türkei. Yesim Ustaoglu schildert in
Reise zur Sonne (1999) die Geschichte eines Türken, der kurdisch aussieht, deshalb in Schwierigkeiten gerät und einen "echten Kurden" kennen lernt. Solche Beispiele mit dokumentarischer Qualität sind allerdings selten, weit häufiger sind fiktive Geschichten aus der Umgebung der Istanbuler Reklame- und Fernseh-Drehbuchschreiber: Sinan Cetins
Propaganda über die absurde Situation an der syrischen Grenze, Yavuz Turguls
Eskiya – der Räuber, ein Märchen von Liebe und Rache, oder Osman Sinavs türkische Rambo Version
Deli Yürek sind Filme, die mit dem wirklichen Leben und dem Charakter der Kurden nur wenig zu tun haben. Der erste "echte Kurde" unter den Istanbuler Regisseuren ist Kazim Öz, der mit
Fotograf (2001) debütierte, einem Film in Kurdisch über einen türkischen Soldaten und einen kurdischen Kämpfer.
Engagierte Dokumentarfilmer
Daneben gibt es seit wenigen Jahren eine junge engagierte Dokumentarfilmszene, die auch kurdische Themen aufgreift. Der Spielfilmregisseur Zeki Demirkubuz dokumentierte in Baris Expresi – Friedenszug die Initiative türkischer und kurdischer Demokraten, den Jahrhunderte langen "schmutzigen Krieg" zu beenden. Ribat von Avaz Arik lässt einen der letzten kurdischen Märchenerzähler aus der Stadt Van ausführlich zu Wort kommen. In Spiel von Sahin Sahinyavuz erzählen eine türkische und eine kurdische Mutter das Leben ihrer charakterlich ähnlichen, aber auf der jeweils anderen Seite gefallenen Söhne. Im Umkreis des mesopotamischen Kulturvereins entstehen ebenfalls Dokumentarfilme in kurdischer Sprache.
Hejar - Großer Mann, kleine Liebe
Zensur und Freiheit
Trotz restriktiver Gesetzeslage und Zensur – etwa von Seiten der Provinzgouverneure bei der Kinozulassung und bei der Fernsehausstrahlung – war und ist in der Produktion sehr viel möglich. Eine Saison in Hakkari und Yol – Der Weg entstanden unmittelbar nach dem Militärputsch 1980. 1991 setzte sich der Kultusminister persönlich für Ümit Elçi's Mem und Zin ein, der nach einem Epos des Dichters Ahmede Xani gedreht wurde und Lieder in Kurdisch enthielt. Nach der faktischen Aufhebung des Verbots der kurdischen Sprache in den 1990er Jahren kam eine Reihe von Filmen aus der kurdischen Welt ins Kino, teilweise mit kurdischen Dialogen. Sie fanden bei der Kritik und auf Festivals gleichermaßen Anerkennung.
Hejar im Visier der rechten Presse
Gefährlicher als staatliche Repression sind die "Schreiberlinge" der rechten Presse. Der Leitartikelverfasser der Tagezeitung Hürriyet, Emin Cölajan, fand in der kleingedruckten englischen Übersetzung des Festivalkataloges auf dem Filmfest in Ankara zum Film
Hejar (2001) die Bezeichnung "A girl from Kurdistan". Er schrieb – ohne den Film gesehen zu haben – daraufhin eine beißende Kritik, auch über die Förderung des Films durch das türkische Kultusministerium, mit entsprechenden Folgen (siehe Filmbesprechung und Interview mit der Regisseurin in dieser Kinofenster-Ausgabe). Letztlich verlieren jedoch nach der Abwahl der national-sozialistischen Koalition 2002 die Rechten immer mehr an Einfluss. Hinweis: Zum Film
Propaganda hat die Bundeszentrale für politische Bildung ein Film-Heft herausgegeben, das als PDF-Datei unter
www.islam-cinema.de heruntergeladen werden kann.
Autor/in: Heinz Mayer, 21.09.2006