Hintergrund
Jeder gute Film verdient ein Sequel
Im Herzen ein Akt der Liebe: Kinofortsetzungen gehorchen ihrer eigenen Dramaturgie
Dieses Mal hat John McClane zehn Jahre verstreichen lassen, um wieder einmal zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Er klopft an die Tür eines Computerhackers, steht kurz darauf im schönsten Kugelhagel und kommt auf diese Weise einem Großangriff auf das technische Rückgrat der amerikanischen Gesellschaft auf die Spur: Ein Superschurke bringt die staatlichen Computernetze unter seine Kontrolle und versucht das gesamte Volksvermögen mit einem einzigen Download abzuheben. Doch zu seinem Pech haben auch virtuelle Verbrechen ihren Ausgangspunkt im analogen Raum (ein im Cyberspace herumturnender Bruce Willis wäre wohl die Überraschung der Saison gewesen).
Denkmäler einer vergangenen Epoche
Nachdem sich Sylvester Stallone mit
Rocky Balboa (2006), dem sechsten Teil seiner Boxersaga, selbst zum Denkmal einer vergangenen Epoche stilisierte, wird in
Stirb langsam 4.0 (Len Wiseman, 2007) das blutverschmierte Unterhemd McClanes als Reliquie des prädigitalen Zeitalters herumgereicht. In beiden Filmen blicken zwei mit ihren Figuren gealterte Darsteller auf eine mit vollem Körpereinsatz geschriebene Erfolgsgeschichte zurück, und es hat seine besondere Ironie, dass die gute alte Zeit nun ausgerechnet in einem Genre beschworen wird, das sonst als Beispiel für ihren Ausverkauf herhalten muss: dem Sequel.
Sehnsüchte fortschreiben
Im Gegensatz zu Filmreihen, in denen sich das Gleiche beständig auf verschiedene Weise wiederholt, wird im Sequel die Handlung einer in sich geschlossenen Erzählwelt fortgesetzt. Während James Bond nach jeder Rettungsmission wieder auf "Los" zurück geht, nehmen Sequelhelden/innen den eigenen Lebensfaden wieder auf. Daraus ergibt sich für die Autoren/innen und Regisseure/innen eine paradoxe Bringschuld: Zum einen sollen sie das Original noch einmal heraufbeschwören und die nostalgische Sehnsucht des Publikums befriedigen, zum anderen diese Sehnsucht fortschreiben, indem sie ihrem Gegenstand etwas wesentliches Eigenes hinzufügen. Für eine Industrie, die eine höchst einträgliche Kunst daraus gemacht hat, einmal gefundene Erzählformeln und Ikonographien immer wieder neu zu variieren, sollte das eigentlich eine Paradedisziplin darstellen. Stattdessen gilt selbst der Traumfabrik jede Fortsetzung zunächst einmal als minderwertig.
Erfordernisse des seriellen Erzählens
Eine abgeschlossene Handlung fortzusetzen, bedeutet im Grunde nicht weniger, als deren im Ende dargelegten Sinn zu dementieren. Entsprechend vorsichtig gehen die meisten Regisseure/innen ans Werk, oder sie injizieren bereits das Original mit den Erfordernissen des seriellen Erzählens. Sam Raimi führte dazu in Spider-Man ein vielfältiges Motivfeld in seine Geschichte ein: die Spannung zwischen Pflicht und Neigung, die Notwendigkeit die eigene Identität geheim zu halten und die Sehnsucht nach der Normalität. Für sein erstes Sequel veränderte er dann die Balance zwischen den einzelnen Themen und legte den Akzent auf das Motiv der Demaskierung; was für Peter Parker/Spider-Man im Kampf mit seinen Feinden eine akute Bedrohung ist, weist ihm gleichzeitig einen Ausweg aus dem Dilemma seiner unerfüllten Liebe.
Prequel – zurück zum Anfang
Wie viele Freiheiten einem Sequel gestattet sind, ist immer auch eine Frage möglicher Synergieeffekte. Bei einem etablierten Markenzeichen wie der Comicfigur Spider-Man muss jede Verfilmung schon deswegen ein klar erkennbares Profil bewahren, weil eine lange Verwertungskette an ihr hängt. Spätestens bei der zweiten Fortsetzung stellt sich jedem Regisseur jedoch die Frage, wie weit er sich vom Ursprung entfernen kann, ohne diesen zu verraten. Immer häufiger wird deswegen statt eines weiteren Sequels ein Prequel inszeniert und zum psychologischen Anfang des filmischen Entwicklungsromans zurückgeblättert. In Batman Begins (Christopher Nolan, 2005) sieht man den noch jungen Helden in die Höhlen seiner Neurosen fliehen, ein künstlerischer Solitär bleibt Francis Ford Coppolas Der Pate - Teil 2 (1974), bei dem Fortsetzung und Vorgeschichte sich in einer virtuosen Parallelmontage gegenseitig kommentieren.
Quadratur des Kreises
Bei Investitionen von mehreren hundert Millionen Dollar wird die Planbarkeit des Erfolgs zu einer Überlebensfrage. Einen kuriosen Grenzfall dieser Quadratur des Kreises stellt die Harry Potter-Reihe dar, deren ebenfalls in Serie erscheinde Literaturvorlage die Filmemacher zu einem Wettlauf mit dem Wachstum ihrer jugendlichen Hauptdarsteller/innen zwingt. Entsprechend generalstabsmäßig nimmt die Produktion ihren vorbestimmten Lauf: Sämtliche technischen Belange liegen bei allen Folgen in denselben Händen, lediglich Regisseure und Kameramänner werden hin und wieder ausgetauscht, um frischen Wind ins Zauberreich zu bringen. Gleichzeitig ist das allgemeine Bauprinzip des Sequels von dieser Entwicklung weitgehend unberührt geblieben: Die erste Fortsetzung zelebriert das Moment der Abweichung, indem sie das Original zugleich wiederholt und überbietet, die zweite (oder dritte) Fortsetzung hebt das Geschehen dann auf eine höhere Ebene. Ein sehr schönes Beispiel für diese dem Sequel eingeschriebene Tendenz zur Selbstbezüglichkeit findet sich in der vorerst letzten Stirb langsam-Folge. Nachdem die Handlung dieses Actionklassikers zunächst vom Inneren eines Wolkenkratzers auf das Areal eines Flughafens verlegt wurde und sich dann Manhattan als Spielfläche eroberte, betreiben die Autoren nun mit dem inszenierten Gegensatz von analoger und digitaler Welt die Historisierung der eigenen Erzählung.
Das Pathos des ersten Mals
Man sieht es wahrlich nicht allen Fortsetzungen an, doch in seinem Kern ist das Sequel ein Akt der Liebe. Mit ihm begeben sich Publikum und Produzenten/innen gleichermaßen auf die Suche nach dem Pathos des ersten Mals, nach einem Augenblick, der nicht wiederkehrt, aber immer wieder beschworen werden kann. Niemand hat dieses Gefühl schöner inszeniert als Wong Kar-wai in seiner Elegie
2046 (2004). Ein Schriftsteller irrt darin durch eine aus Erinnerungen gebaute Stadt, die ihn an eine alte Liebe fesselt und darüber das nebenan wohnende Glück übersehen lässt. Und weil wir diesen Schriftsteller mitsamt seiner unglücklichen Vorgeschichte bereits aus Kar-wais Meisterwerk
In the Mood for Love (2000) kennen, scheint der Film mit seiner frei zwischen den Zeiten und Räumen schwebenden Struktur um ein leeres Zentrum zu kreisen: die abwesende Geliebte. So sehen wir durch die Bilder von
2046 auf den älteren Film und zugleich auf unsere eigene Sehnsucht, die sich mit der des Helden trifft.
Autor/in: Michael Kohler, 10.07.2007
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