Interview
Das Leben ist komplizierter ...
Ein Gespräch mit Paul Schrader
Das Interview führte Margret Köhler.
Interviewpartner: Paul Schrader
Wie schon in vielen Ihrer Filme geht es auch in Der Gejagte um Gewalt. Was reizt Sie an diesem bei Ihnen immer wiederkehrenden Thema?
Gewalt beherrscht unser Leben, und Kunst kann die Ambiguität zwischen unseren Gedanken und unserem Verhalten darstellen. Das Thema Gewalt fasziniert mich, weil die für Amerika typische männliche Gewalttätigkeit etwas ganz Archaisches ist und dennoch unsere moderne Gesellschaft prägt. Sie wird über die Generationen vom Vater auf den Sohn vererbt, der die negativen Verhaltensmuster weitergibt, obwohl er selbst darunter vor allem als Kind und Heranwachsender leidet. Es ist schon verrückt, wir brauchen heute nur den Room-Service zu rufen, um uns mit allen Köstlichkeiten der Welt verwöhnen zu lassen, aber Männer verhalten sich immer noch so, als ob sie in der Wildnis Tiere jagen müssten, um sich und die Sippe zu ernähren und deren Überleben zu sichern. Trotz aller Zivilisation befinden sich die Menschen mental auf dem Stand eines Neandertalers. Es ist eigenartig, wir versuchen immer, unser Verhalten durch den Verstand zu modifizieren, aber unsere Körper scheinen nicht mit dem Kopf verbunden zu sein.
Auch der Vater-Sohn-Konflikt lässt Sie über Jahrzehnte nicht los.
In diesem Fall lag der autobiografische Roman von Russell Banks vor, dessen Vater Alkoholiker war. Das ist nicht mein familiärer Hintergrund. Mein Vater war eine starke Persönlichkeit, aber nicht dem Alkohol verfallen. Wir haben alle unsere Probleme mit den Vätern, das ist ein klassisches Thema von der Bibel über die alten Griechen bis zur Gegenwart. Diese diffizile Beziehung wird von jeder neuen Generation neu erlebt, wieder erzählt und wieder formuliert.
Ihr Protagonist steht im Schatten seines Vaters. Ist der Winter mit Kälte und Schnee Symbol der Hoffnungslosigkeit?
Dieser Film kann nur auf dem Land und im Winter spielen, diese beißend weiße Landschaft hat etwas Grausames und gleichzeitig Trostloses. Es geht um Menschen, die unter Werteverlust leiden, deren Seelen abgestorben und von einer Umgebung geprägt sind, in der man kämpfen muss, aus der man aber nur schwer ausbrechen kann – gefühlskalte Menschen in einer kalten Welt mit einer kalten Religion. Ich bin vor Jahren an den Ort gefahren, wo meine Großeltern herkommen, an die holländische Nordsee. Da stand ich im kalten Wind auf dem Deich und dachte mir, kein Wunder, dass diese Leute damals an einen so strengen Gott glaubten, anders hätten sie den Sprung in die Neue Welt nicht schaffen können.
Sind Sie ein pessimistischer Mensch?
Ich bin Anhänger der Evolutionspsychologie, eine Kombination von Freud und Darwin. Was wir Moralität nennen, ist vielleicht nur ein Mittel zum Überleben. Ich bin realistisch und hoffe dennoch, dass die menschliche Vernunft gewinnt, damit die Erde weiter existiert.
Sie setzen sich immer stark mit Religion und ihren Folgen auseinander.
Ich bin in einer sehr moralisch geprägten Umgebung aufgewachsen, das kann man nicht so einfach abschütteln, die Vergangenheit verfolgt einen bis ans Lebensende. Als Geschichtenerzähler fühlt man vielleicht eine Verpflichtung, sich an einem Universum der Moral zu orientieren, auch wenn diese Vorstellung wahrscheinlich in den utopischen Bereich gehört. Filme handeln von Problemen, die man lösen kann. Wenn ein Terrorist das Flugzeug des Präsidenten kapert, tötet der Präsident den Terroristen. Das ist Film. Das Leben ist komplizierter, es ist ein einziges Dilemma und für ein Dilemma gibt es keine Lösungen. Man kann es nur erforschen. Deshalb müssen wir eine neue Wachsamkeit dem gegenüber entwickeln, was Filme uns lehren und verkaufen wollen.
Glauben Sie, mit Ihrem Film auch ein junges Publikum zu erreichen?
Natürlich ist Der Gejagte kein Film für junge Leute, die sich am Samstagabend amüsieren wollen. Aber ich halte nichts davon, nur für irgendwelche Alters-Zielgruppen zu produzieren. Auch Erwachsene gehen ins Kino, deshalb sollte es auch Filme für Menschen geben, die nicht der Popcorn-Generation angehören.
Sie sind seit 25 Jahren im Filmgeschäft, was waren die größten Änderungen für Sie?
Ich habe für die Studios gearbeitet und mache immer noch die gleiche Art von Filmen, aber die Studios machen diese Filme nicht mehr. Deshalb gehöre ich jetzt zu den "Independents". In diesem Unterhaltungsbusiness bleibt nicht viel Platz für die Filme, die ich gerne sehe und inszeniere. Der Gejagte zählt zu den Filmen, die ein dunkles Thema behandeln und an der Institution Familie kratzen, den amerikanischen Traum in Frage stellen, das fürchtet Hollywood mehr als Pornografie.
Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken, bedauern Sie manche Entwicklungen, würden Sie etwas anders machen?
Life would be a hell of a party - wenn das Wörtchen wenn nicht wär' ...
Autor/in: Margret Köhler, 12.12.2006